Rz. 22

An den dargestellten allgemeinen Grundsätzen könnte sich insoweit etwas durch die Einführung eines (allgemeinen) Ent- und Verstrickungstatbestands in § 4 Abs. 1 EStG geändert haben, als das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der stillen Reserven entsprechend dem Ziel des Gesetzgebers durch Vornahme einer Sofortversteuerung gesichert werden soll[1]. Die Übertragung von Wirtschaftsgütern sowie ihre Nutzung sollen im Ergebnis wie unter fremden Dritten gehandhabt werden; dabei soll nicht – wie zu erwarten – der Fremdvergleichspreis, sondern der gemeine Wert nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 und 5 EStG für die Besteuerung maßgebend sein.

 

Rz. 23

Der Gesetzgeber sieht ebenso wie die Finanzverwaltung in dieser Regelung eine Kodifizierung der bislang vom BFH vertretenen Auffassung, wonach eine Entnahme anzunehmen ist, wenn Deutschland mit dem ausl. Betriebsstättenstaat ein DBA abgeschlossen hatte, das das Besteuerungsrecht für die Einkünfte der Betriebsstätte (nur) dem Betriebsstättenstaat zuweist[2].

 

Rz. 24

Eine Entnahme ist anzunehmen, wenn es zu einem Ausschluss oder einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts kommt.

Umstritten ist bereits, wann es zu einem Ausschluss bzw. einer Beschränkung des deutschen Steuerrechts kommt. Kern der Kritik ist, dass Deutschland das Besteuerungsrecht an den bis zur Überführung entstandenen stillen Reserven nach Art. 7 Abs. 1 S. 2 OECD-MA behält und insoweit kein Grund für eine Sofortbesteuerung besteht bzw. im Fall der Anrechnung entweder keine ausl. Einkünfte gegeben sind und insoweit kein Besteuerungsrecht verloren geht bzw. die Anrechnung per se das deutsche Steuerrecht nicht ausschließt, sondern allenfalls durch die effektive Zahllast gegenüber dem deutschen Fiskus beschränkt[3]. Damit liefe § 4 Abs. 1 S. 3, 7 EStG aber ins Leere, was der Gesetzgeber nicht bezweckt haben kann. In Fällen, in denen der Ansatz einer Entnahme (insbesondere in den Nutzungsfällen und bei unterschiedlichem bilanziellen Ansatz der Wirtschaftsgüter zur Ermittlung des jeweiligen Gewinns) zu einer Mehrfachbesteuerung führen kann, muss der Tatbestand der Entstrickung jedoch teleologisch reduziert werden (etwa bei der Überlassung von Kapital, Rz. 43).

Folgende Fälle, in denen ein Ausschluss bzw. eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts gegeben sein soll, werden diskutiert:

  1. Bei der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausl. Betriebsstätte, wenn der Gewinn der ausl. Betriebsstätte von der inländischen Besteuerung freigestellt ist[4];
  2. bei Belegenheit einer ausl. Betriebsstätte in einem Staat, dessen DBA die Anrechnungsmethode vorsieht, bzw. bei Belegenheit einer ausl. Betriebsstätte in einem Nicht-DBA-Staat, wenn es unter den Voraussetzungen des § 34c EStG zur Anrechnung ausl. Steuer kommt[5]; zu beiden Fällen wird kritisch angemerkt, dass allein die Gefährdung des deutschen Besteuerungsrechts nicht genügen dürfte, sondern sich tatsächlich eine niedrige Steuerlast ergeben müsse[6];
  3. bei Überführung eines Wirtschaftsguts von einer Betriebsstätte, bei der die Anrechnungsmethode zur Anwendung kommt, in eine solche, bei der die Freistellungsmethode zur Anwendung kommt[7];
  4. bei Änderung eines DBA, wodurch auf den Gewinn der Betriebsstätte nicht mehr die Anrechnungsmethode, sondern nunmehr die Freistellungsmethode anzuwenden ist;
  5. bei einer Änderung der funktionalen Zuordnung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft von einer inländischen zu einer ausl. Betriebsstätte.
 

Rz. 25

Des Weiteren stellt sich die Frage, was Voraussetzung für die Realisierung der dem Wirtschaftsgut innewohnenden stillen Reserven ist. Bedarf es eines dauerhaften bzw. endgültigen Übergangs oder genügt bereits die vorübergehende Übertragung zur Nutzung? Ausgehend von dem vergleichbaren Fall in § 49 EStG würde bereits die vorübergehende Übertragung ausreichen. Nach der Gesetzesbegründung[8] sollen die stillen Reserven nicht aufgedeckt werden, wenn ein Wirtschaftsgut nur vorübergehend übertragen wird. Es läge dann aber eine Entnahme hinsichtlich der Nutzung des Wirtschaftsguts vor[9]. Hierauf aufbauend kommt es also im Fall der vorübergehenden Übertragung nicht zu einer Zuordnungsänderung des Wirtschaftsguts, sondern lediglich zu einer Gewinnaufteilung (ohne Berücksichtigung eines Gewinnaufschlags). Der Fall der gemeinschaftlichen Nutzung eines Wirtschaftsguts[10] ist deshalb so zu lösen, dass es partiell zur Entnahme von Nutzungen, nicht aber zur Entnahme des Wirtschaftsguts kommt: aus deutscher Sicht ist eine Gewinnabgrenzung vorzunehmen.

 

Rz. 26

Nachteilig gegenüber dem Erlass des BMF zu Betriebsstätten[11] erweist sich die Ent- und Verstrickungsregelung unter drei Gesichtspunkten:

  • Die Gewinnermittlung basierte bislang entsprechend der Konzeption des "separate entity approaches" auf dem Fremdvergleichspreis. Nun erfolgt eine Besteuerung auf Basis des gemeinen Werts.
  • Bislang konnte eine Streckung der Versteuerung in allen Fällen erreicht werden. Unte...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Steuer Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge