Prof. Dr. Gerrit Frotscher, Prof. Dr. Christoph Watrin
Rz. 79
Ein schwebender Vertrag liegt vor, wenn bei einem zweiseitig verpflichtenden Vertrag, der auf einen gegenseitigen Leistungsaustausch gerichtet ist, der zur Sach- oder Dienstleistung Verpflichtete noch nicht vollständig erfüllt hat. Sind beide Vertragsparteien zu einer Sach- oder Dienstleistung verpflichtet (Tausch oder tauschähnlicher Vertrag), handelt es sich um einen schwebenden Vertrag, solange nicht eine der beiden Vertragsparteien ihre Sach- oder Dienstleistung vollständig erbracht hat. Ein solcher Vertrag verliert seinen Charakter als schwebender Vertrag, wenn der bzw. einer der zur Sach- oder Dienstleistung Verpflichteten alle von ihm geschuldeten Erfüllungshandlungen so vollständig erbracht hat, dass ihm die Forderung auf die Gegenleistung, von den normalen Forderungsrisiken abgesehen, so gut wie sicher ist. Ohne Bedeutung ist es, ob bereits eine Rechnung erstellt worden oder der Anspruch fällig ist.
Rz. 79a
Ein schwebendes Geschäft (Beginn des Geschäfts) entsteht grundsätzlich dann, wenn eine der Parteien ihre Verpflichtung zu einer Sach- oder Dienstleistung bindend anbietet. Ab diesem Zeitpunkt bestehen für sie Verpflichtungen (Bindung an das Angebot), ab diesem Zeitpunkt können Äquivalenzstörungen entstehen, die eine Bilanzierung notwendig machen können. Der Schwebezustand endet, wenn der zur Sach- oder sonstigen Leistung verpflichtete Vertragspartner seine vertragliche Verpflichtung in vollem Umfang erfüllt hat. Hängt der Anspruch auf die Gegenleistung von dem Eintritt eines Leistungserfolgs ab, endet der Charakter des Vertrags als schwebender Vertrag erst mit Eintritt des Leistungserfolgs (z. B. Werkvertrag; Abnahme des Werks). Hängt die Gegenleistung nur von der Vornahme von Leistungshandlungen ab, endet der Charakter des Vertrags als schwebendes Geschäft schon mit der vollständigen und vertragsgerechten Vornahme der Leistungshandlungen.
Rz. 80
Zum Gewinnausweis kommt es nach dem Realisationsprinzip erst, wenn der Vertrag von einer Seite erfüllt worden ist (Rz. 79). Ist dies nicht der Fall, ist der Vertrag also noch von keiner Seite erfüllt worden, handelt es sich um einen schwebenden Vertrag. Aus dem Vertragsverhältnis sind zwar schon für beide Seiten Rechte und Pflichten entstanden; da jedoch der Anspruch auf die Gegenleistung noch mit erheblichen Risiken behaftet ist und die Vermutung besteht, dass Leistung und Gegenleistung gleichwertig sind und daher für keinen der Partner eine Vermögensminderung oder -mehrung eingetreten ist, wird ein solches schwebendes Geschäft nicht bilanziert. Zur Bilanzierung kommt es erst, wenn der Gewinn oder Verlust verwirklicht worden ist. Die Möglichkeit, bereits vor der Verlustverwirklichung eine Drohverlustrückstellung zu bilden und damit Verluste aus einem schwebenden Geschäft vor der Realisierung auszuweisen, ist steuerrechtlich nach § 5 Abs. 4a S. 1 EStG nicht mehr gegeben.
Rz. 81
Schwebende Verträge müssen als Einheit betrachtet werden; es besteht daher die Vermutung, dass die Gesamtheit der Leistungen der Gesamtheit der Gegenleistungen gleichwertig gegenübersteht. Es ist also grundsätzlich nicht möglich, einzelne den Kaufmann belastende Elemente aus dem Vertrag zu isolieren, für sich zu betrachten und hierfür eine Rückstellung zu bilden.
Rz. 82
Nach den gleichen Grundsätzen ist der Gewinnausweis bei Dauerrechtsverhältnissen (z. B. Darlehen, Miete, Pacht, Dienstvertrag, Sukzessivlieferungsverträge wie Energielieferungsverträge, auch Verträge über laufende Beratung usw.) zu behandeln. Das in bestimmten Zeitabständen (monatlich, jährlich) zu zahlende Entgelt ist die Gegenleistung für die in diesem Zeitabschnitt erbrachte Leistung, also keine Anzahlung für das für die Gesamtdauer des Vertrags zu zahlende Entgelt. Nach Ablauf der jeweiligen Teilperiode hat der Leistende durch Erbringung seiner Leistung für die Teilperiode voll erfüllt und damit den Anspruch auf das Entgelt für diese Periode (Mietzins, Pauschalhonorar usw.) gewinnrealisierend zu aktivieren (Gewinnausweis nach dem Realisationsprinzip durch Erbringen der eigenen Leistung, vgl. Rz. 79). Vor diesem Zeitpunkt, also während des Laufs der jeweiligen Teilperiode, hat noch keine der Parteien ihre Leistung vollständig erbracht; es handelt sich daher, bezogen auf den Teilzeitraum, um einen schwebenden Vertrag, der infolge der Ausgeglichenheit von Leistung und Gegenleistung nicht bilanziert wird.
Wird das Entgelt für die jeweilige Teilperiode vertragsgemäß im Voraus bezahlt, hat zum Bilanzstichtag sowohl bei dem Leistenden als auch bei dem Empfänger eine Rechnungsabgrenzung zu erfolgen, soweit die Teilperiode, für die das Entgelt entrichtet wurde, über den Bilanzstichtag hinausreicht.
Ist der Vertrag nicht in solche Teilperioden (Teilleistungen) aufgeteilt, kann keine vorzeitige Gewinnrealisierung erfolgen.
Rz. 83
Entsprechendes gilt für andere Dienstleistungsverträge (z. B. Wartungsverträge). Das für den jeweiligen Zeitraum zu entrichtende Pauschalentgelt ist Gegenleistung für die in...