Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 258
Nach § 52 Abs. 59a S. 8 EStG war die Vorschrift i. d. F. des G. v. 19.12.2008 in allen Fällen anzuwenden, in denen die ESt oder KSt noch nicht bestandskräftig festgesetzt war. Die Vorschrift legt sich also Rückwirkung für alle offenen Fälle zu und ist danach auf bereits abgelaufene Veranlagungszeiträume anzuwenden. Nach § 52 Abs. 59a S. 10 EStG soll auch die durch das G. v. 26.6.2013 vorgenommene Neuregelung für alle noch nicht bestandskräftigen Fälle gelten. Die Vorschrift legt sich daher echte, und damit verfassungsrechtlich nur eingeschränkt zulässige Rückwirkung bei. Dies beruht auf der von dem Finanzausschuss geäußerten Ansicht, dass es sich bei der Regelung nur um eine Klarstellung handle. Ein gegenteiliges Vertrauen der Stpfl. sei angesichts der Auffassung der Verwaltung und dem Willen des Gesetzgebers zu einer entsprechenden Regelung nicht entstanden. Die Stpfl. hätten auch nicht auf das Urteil des BFH v. 8.9.2010 vertrauen dürfen, da ein solches Vertrauen allenfalls bei einer gefestigten Rspr., die insoweit nicht vorliege, geschützt sei. Ein Aspekt dürfte auch sein, dass dieses Urteil des BFH nicht im BStBl veröffentlicht worden ist, also den Stpfl. bekannt war, dass die Finanzverwaltung das Urteil nicht anwenden werde.
Rz. 259
Dieser Ansicht ist nicht zu folgen. Nach der maßgeblichen, durch den BFH vorgenommenen Auslegung der DBA (Rz. 242) sind die Sondervergütungen nicht als Unternehmensgewinne einzuordnen, sondern als Zinsen, Lizenzen oder Miet- und Pachtzinsen. Die durch G. v. 19.12.2008 eingeführte Vorschrift sollte daher die durch den BFH zutreffend ermittelte Rechtslage ändern und daher konstitutiv wirken. Diese Änderung ist angesichts der fehlerhaften Formulierung der Vorschrift missglückt, sodass es bei der Rechtslage, wie sie der BFH ermittelt hatte, blieb. Eine Änderung der Rechtslage konnte daher erst durch das G. v. 26.6.2013 herbeigeführt werden. In der Anwendung auf abgeschlossene Veranlagungszeiträume legt sich die Vorschrift daher "echte" Rückwirkung zu, die verfassungsrechtlich nur in Ausnahmefällen zulässig ist. Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht vor, insbesondere handelt es sich bei der Behandlung der Sondervergütungen nicht um eine "verworrene Rechtslage", die klargestellt werden müsste. Durch die in sich konsequente Rspr. des BFH (Rz. 242) war die Rechtslage klar, nicht verworren; sie entsprach lediglich nicht der Auffassung der Finanzverwaltung. Dies ist aber kein rechtfertigender Grund für eine echte Rückwirkung. Nur fiskalisch begründete Ansichten der Finanzverwaltung machen aber eine Rechtslage nicht "verworren". Ebenfalls ist eine Rechtslage nicht deshalb "verworren", weil unterschiedliche Ansichten vertreten werden. In diesem Fall hat eine Klärung durch Gerichte zu erfolgen, nicht eine mit echter Rückwirkung ausgestattete Gesetzesänderung. "Verworren" ist eine Rechtslage nur, wenn sie mithilfe der zulässigen Auslegungsmethoden nicht geklärt werden kann; das war hinsichtlich der Sondervergütungen nicht der Fall.
Die Rspr. des BFH zu den Sondervergütungen war auch konsequent und gefestigt, sodass eine Änderung der Rspr. nicht zu erwarten war. Das Vertrauen der Stpfl. in die vom BFH zutreffend ermittelte Rechtslage konnte nicht allein dadurch zerstört werden, dass die Finanzverwaltung eine andere Auffassung vertrat. Der Stpfl. musste allenfalls damit rechnen, dass die Finanzverwaltung eine Änderung der Rechtslage durch ein Änderungsgesetz mit Wirkung für die Zukunft veranlassen würde. Für eine Änderung der Rechtslage mit echter Rückwirkung gibt es keine Rechtfertigung. Die Anwendungsregelung des § 52 Abs. 59a S. 10 EStG ist daher verfassungswidrig und vom BVerfG für nichtig zu erklären. Es gilt dann die allg. Regelung über das Inkrafttreten des Gesetzes nach § 52 Abs. 1 EStG i. d. F. v. 26.6.2013. Die Neufassung ist daher erst ab Vz 2013 anzuwenden.
Rz. 260 und Rz. 261 einstweilen frei