Normenkette
SozialgerichtsG (SGG) § 51 Abs. 1; GVG § 13
Tenor
Für Rechtsstreitigkeiten zwischen einer Ersatzkasse und einer Allgemeinen Ortskrankenkasse über die Zulässigkeit von Maßnahmen auf dem Gebiet der Mitgliederwerbung ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben.
Gründe
1. Die B. Ersatzkasse, Klägerin des Ausgangsverfahrens, und die Beklagte, eine Allgemeine Ortskrankenkasse, konkurrieren um solche Versicherungspflichtigen als Mitglieder, die die Klägerin aufnehmen darf und die sich damit von der Mitgliedschaft bei der Beklagten befreien lassen können.
Die Klägerin beanstandet die Verwendung bestimmter Formulare bei der Mitgliederwerbung der Beklagten als wettbewerbswidrig. Ferner beanstandet sie, daß es die Beklagte unternommen habe, Schüler zur Rücknahme von Aufnahmeanträgen zu veranlassen, die diese bereits bei der Klägerin gestellt hatten. Mit ihrer Klage hat sie die Beklagte auf Unterlassung der Verwendung der Formulare und der Abwerbung von Mitgliedern in Anspruch genommen.
Das Landgericht hat unter Bejahung des ordentlichen Rechtswegs die Klage hinsichtlich des Anspruchs auf Unterlassung von Abwerbemaßnahmen mangels hinreichender Bestimmtheit des Klageantrags als unzulässig und hinsichtlich der Verwendung der Formulare als unbegründet abgewiesen. Die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil hat das Oberlandesgericht mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Klage in vollem Umfang als unzulässig abzuweisen sei; das Oberlandesgericht hat den ordentlichen Rechtsweg nicht für gegeben erachtet. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin, die ihr vorinstanzliches Begehren weiterverfolgt. Sie hält den Rechtsweg zu den Zivilgerichten für gegeben. Dem tritt die Beklagte entgegen.
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs ist der Meinung, der anhängige Rechtsstreit falle in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte, und möchte daher über die Revision der Klägerin entscheiden. Daran sieht er sich gehindert durch die Rechtsprechung des 3. und 8. Senats des Bundessozialgerichts, die entschieden haben, daß für Rechtsstreitigkeiten dieser Art zwischen Ersatzkassen und Allgemeinen Ortskrankenkassen – unabhängig davon, wer von den Prozeßparteien in sachlich-rechtlicher Hinsicht Ansprüche geltend macht – der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben sei (BSGE 36, 238; 56, 140; BSG, Urt. v. 22.1.1986 – 8 RK 59/84, SGb 1986, 570 = SozR 1500 § 55 Nr. 31, Urt. v. 22.1.1986 – 8 RK 60/84, USK 8645). Er hat daher dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes die Frage vorgelegt,
ob für Rechtsstreitigkeiten zwischen einer Ersatzkasse und einer Allgemeinen Ortskrankenkasse über die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit von Maßnahmen auf dem Gebiet der Mitgliederwerbung der ordentliche Rechtsweg gegeben ist.
Der im Vorlagebeschluß vertretenen Rechtsauffassung hat sich der 3. Senat des Bundessozialgerichts, auf den auch die Zuständigkeit des 8. Senats des Bundessozialgerichts insoweit übergegangen ist, nicht angeschlossen (Beschl. v. 11.10.1988 – 3 S 1/88).
2. Die Vorlage ist zulässig (§ 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes – RsprEinhG – vom 19.6.1968 – BGBl. I S. 661). Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs will in der bezeichneten Rechtsfrage von den im Vorlagebeschluß angeführten Urteilen des 3. und 8. Senats des Bundessozialgerichts abweichen.
3. Der Gemeinsame Senat beantwortet die ihm vorgelegte Rechtsfrage dahin, daß für Rechtsstreitigkeiten zwischen einer Ersatzkasse und einer Allgemeinen Ortskrankenkasse über die Zulässigkeit von Maßnahmen auf dem Gebiet der Mitgliederwerbung der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben ist. Es handelt sich um eine Angelegenheit der Sozialversicherung (§ 51 Abs. 1 SGG).
Ob eine Streitigkeit öffenlich- oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich, wenn – wie hier – eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung des Gesetzgebers fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Dieser Grundsatz bestimmt die Auslegung sowohl von § 13 GVG als auch von § 51 Abs. 1 SGG. Öffentlich-rechtlich sind Streitigkeiten, die aus einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung entstehen. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit kann aber auch auf einem Gleichordnungsverhältnis beruhen. Entscheidend ist die wahre Natur des Anspruchs, wie er sich nach dem Sachvortrag des Klägers darstellt, und nicht, ob dieser sich auf eine zivilrechtliche oder eine öffentlich-rechtliche Anspruchsgrundlage beruft (GmS-OGB BGHZ 102, 280; BGH, Urt. v. 9.5.1979 – VIII ZR 134/78, NJW 1979, 2615; BSG SozR 1500 § 51 SGG Nr. 44).
Bei Streitigkeiten über die Zulässigkeit von Maßnahmen der Mitgliederwerbung stehen sich Ersatzkassen und Allgemeine Ortskrankenkassen in einem Gleichordnungsverhältnis gegenüber. Solche Verhältnisse werden als öffentlich-rechtlich angesehen, wenn die das Rechtsverhältnis beherrschenden Rechtsnormen überwiegend den Interessen ...