Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Aufhebung eines bestandskräftigen rechtswidrigen Ablehnungsbescheides
Leitsatz (redaktionell)
- Ein bestandskräftig gewordener Ablehnungsbescheid über Kindergeld entfaltet Bindungswirkung für die Zeit bis zu dem Ende des Monats in dem er bekannt gegeben wurde. Eine Durchbrechung dieser aufgrund der Bestandskraft eingetretenen Bindungswirkung des Verwaltungsaktes ist nur dann möglich, wenn ein Korrekturtatbestand der Abgabenordnung erfüllt ist.
- Reicht ein Steuerpflichtiger trotz vorherigen Hinweises der Behörde über die rechtlichen Voraussetzungen für die Berücksichtigung eines behinderten Kindes erst nach Eintritt der Bestandskraft des Kindergeldablehnungsbescheides weitere Unterlagen ein, die die Familienkasse erstmals in die Lage versetzen, Art, Umfang und Dauer der Erkrankung des Kindes umfassend und zutreffend rechtlich zu würdigen, und hätten diese Unterlagen schon bei Antragstellung vorgelegt werden können, liegt ein schuldhaftes Verhalten des Steuerpflichtigen vor, das eine Berichtigung wegen neuer Tatsachen im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ausschließt.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 2; AO § 173 Abs. 1 Nr. 2; SGB X § 44 Abs. 1
Streitjahr(e)
2005
Nachgehend
Tatbestand
Der älteste Sohn des Klägers, O, geboren am 3.1.1967, leidet an einer gravierenden psychischen Erkrankung, die es notwendig macht, dass er in einem geschützten Rahmen lebt und arbeitet.
Der Kläger beantragte mit Eingang vom 25.2.2005 die Festsetzung des Kindergeldes für seinen behinderten Sohn O. In der Folgezeit wurden bei der Familienkasse der diesbezügliche Fragebogen, eine Verdienstbescheinigung, eine Kopie des Feststellungsbescheides vom 2.8.2004 und eine Kopie des Schwerbehindertenausweises eingereicht. Der vorgelegte Schwerbehindertenausweis vom 2.8.2004 ( Bl. 296 der Kindergeldakte ) bescheinigt für O einen Grad der Behinderung von 60% zum Stichtag 19.2.2004.
Die Familienkasse ließ am 6.4.2005 (Blatt 297 der Kindergeldakte) einen Bescheid gegen den Kläger ergeben, mit dem die Festsetzung von Kindergeld für den Sohn O abgelehnt wurde. Dieser Bescheid wurde vom Kläger nicht mit einem Rechtsmittel angegriffen und erwuchs somit in Bestandskraft.
Der Kläger beantragte mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 28.9.2005 die Aufhebung des Verwaltungsaktes vom 6.4.2005 und begehrte die Festsetzung des Kindergeldes für seinen Sohn ab September 2001. Nachfolgend gingen weitere Unterlagen bei der Familienkasse ein, die der Familienkasse grundsätzlich die Bewilligung von Kindergeld für den Sohn O möglich machten. Daraufhin wurde insoweit ab Mai 2005 Kindergeld festgesetzt, die Familienkasse lehnte jedoch mit Bescheid vom 24.1.2006 für die Zeit vor Mai 2005 unter Hinweis auf die Bestandskraft des Ablehnungsbescheides vom 6.4.2005 eine Bewilligung von Kindergeld ab. Hiergegen hat der Kläger zunächst Einspruch eingelegt und nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage erhoben.
Der Kläger ist der Ansicht, dass § 44 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches X auch auf die rückwirkende Festsetzung von Kindergeld Anwendung finden müsse. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 11.1.2005 2 BvR 167/02 zu § 32 Abs. 4 S. 2 des Einkommensteuergesetzes in den Urteilsgründen festgehalten, dass es sich bei den Kindergeldregelungen um Sozialleistungen handele. Wenn dies der Fall sei, so sei eine ungleiche Behandlung zu den übrigen Sozialleistungen, für die § 44 des Sozialgesetzbuches X Anwendung finde, nicht mit Art. 3, Art. 6 des Grundgesetzes vereinbar.
§ 44 des Sozialgesetzbuches X sei gemäß § 1 des Sozialgesetzbuches X auch auf Kindergeldregelungen anzuwenden, da diese bei Erlass des Sozialgesetzbuches X zur Materie des Besonderen Teils des Sozialgesetzbuchs gehört hätten. Daran würden auch die Regelungen des Einkommensteuerrechts und der Abgabenordnung nichts ändern.
Da es zudem nach Ansicht des Klägers erklärtes Ziel aller Regierungen der letzten Jahre gewesen sei, Kinder mehr zu fördern, dürften sich die Kindergeldkassen nicht in die Bestandskraft rechtswidriger Ablehnungsbescheides flüchten, wenn Sie entgegen Ihrer rechtstaatlichen Beratungs- und Aufklärungspflicht aus Arbeitsüberlastung oder wegen von oben oktroyierten Kostensenkungsgesichtspunkten ihren Beratungs- und Hilfepflichten nicht nachkämen oder bewusst unrichtige Bescheide erließen. Wenn nach der Intention des § 44 des Sozialgesetzbuchs X bis zu 4 Jahren die Korrektur von unrichtigen Entscheidungen über existenzielle Leistungen in der Sozialversicherung möglich sein solle, so müsse dies für das Kindergeld als existenzieller Sozialleistung für viele Kinder und Eltern mit Kindern erst recht gelten.
Weiter führt der Kläger aus, dass die Familienkasse ihrer Aufklärungs- und Beratungspflicht vorliegend nicht in dem erforderlichen Umfang nachgekommen sei. Er, der Kläger, habe als Ausländer zusätzlich zu der hochkomplexen juris...