Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung nach § 72 Abgabenordnung
Tenor
Der Haftungsbescheid vom 21.7.1994 und die Einspruchsentscheidung vom 5.12.1995 werden aufgehoben.
Das beklagte Finanzamt trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
Das Urteil ist hinsichtlich der erstattungsfähigen Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Tatbestand
Streitig ist, ob das beklagte Finanzamt die klagende Bank aufgrund einer Verletzung der Pflicht zur Kontenwahrheit für Steuerschulden der als Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) konzipierten Firma XX-Bau in Haftung nehmen durfte (§§ 191 Abs. 1, 72 i.V.m. § 154 Abgabenordnung 1977 – AO–). Im einzelnen liegt dem Streitfall folgender Sachverhalt zugrunde:
Mit notariellem Gesellschaftsvertrag vom 20.7.1992 gründeten die Gesellschafter S, H (beide Geschäftsführer) sowie M eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung unter der Firma XX-Bau GmbH in. Gegenstand des Unternehmens war die Erbringung von Bauleistungen aller Art des Hoch- und Tiefbaugewerbes. Am selben Tage wurde beim Registergericht die Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister beantragt. Hierzu kam es nicht. Mit Beschluß vom 1.2.1993 ist der Eintragungsantrag zurückgewiesen worden; ein neuer Antrag wurde nicht gestellt. Hiervon ist das Finanzamt vom Amtsgericht in Kenntnis gesetzt worden. Infolgedessen wurde die Gesellschaft beim Finanzamt nicht als GmbH, sondern als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) geführt. Am 27.7.1992 eröffneten die geschäftsführenden Gesellschafter des Bauunternehmens unter Vorlage des notariellen Gründungsvertrages bei der Klägerin ein auf Guthabenbasis geführtes Konto für die „XX-Bau GmbH” (Konto-Nr. 93033). Ein weiteres Konto (Nr. 97330) wurde am 18.5.1993 eingerichtet. Beide Konten sind im Mai 1994 gelöscht worden. Einen Handelsregisterauszug hatte die klagende Bank weder bei Eröffnung des Kontos noch in der Folgezeit angefordert. Da sie aufgrund dessen keine Kenntnis von der fehlenden Eintragung der Gesellschaft erhielt, hat die Klägerin die Konten bis zu deren Löschung für die unstreitig nicht zur Entstehung gelangte „XX-Bau GmbH” geführt.
Die auf diesen Konten eingehenden Guthaben wurden stets unmittelbar von den Geschäftsführern abgehoben. Aufgrund der fehlenden Deckung sind für die Steuerschulden ausgestellte Schecks von der Bank nicht eingelöst worden. Aufgrund einer Kontenpfändung hat die Klägerin lediglich einen Betrag in Höhe von 767,88 DM an das Finanzamt überwiesen.
Mit Haftungsbescheid vom 21.7.1994 nahm das beklagte Finanzamt die Klägerin gemäß § 72 AO für die rückständigen Abgaben der Steuerschuldnerin in Anspruch, weil die Bank der Vorschrift des § 154 Abs. 3 AO zuwidergehandelt habe. Danach dürfen Guthaben nur mit Zustimmung des Finanzamtes herausgegeben werden, wenn das Konto auf einen falschen oder erdachten Namen errichtet wurde (Kontensperre, § 154 Abs. 1 AO). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nach Auffassung der Behörde gegeben, weil die fraglichen Konten unter der Firma einer nicht zur Entstehung gelangten GmbH geführt worden seien. Richtigerweise hätten die Konten zunächst für die durch Abschluß des notariellen Vertrages entstandene sogenannte Vorgesellschaft unter der Bezeichnung „XX-Bau GmbH in Gründung” gerührt werden müssen, nach Ablehnung des Eintragungsantrags für die sodann bestehende GbR.
Der Einspruch der Klägerin war nur insoweit erfolgreich, als das Finanzamt im Rechtsbehelfsverfahren aufgrund zwischenzeitlicher Beitreibungsmaßnahmen die Haftungssumme (im wesentlichen Umsatzsteuer) auf 45.203,27 DM herabsetzte.
Gegen die Einspruchsentscheidung vom 5.12.1995 richtet sich die vorliegende Klage. Von einer Kontenerrichtung unter falschem Namen kann nach Auffassung der Klägerin keine Rede sein. Wenn auch die Bezeichnung des Kontoinhabers bei der Eröffnung nicht vollständig gewesen sein mag, weil der Zusatz „in Gründung” fehlte, so sei dies unter Berücksichtigung des Regelungszweckes des § 154 AO irrelevant, da die Identität des Kunden jederzeit feststellbar gewesen sei. Auch fehle es an einem Kausalzusammenhang zwischen einer – die Richtigkeit der behördlichen Rechtsauffassung unterstellt – eingetretenen Kontensperre und der Beeinträchtigung der Verwirklichung der Steuerforderungen; denn im Falle einer Sperre des Kontos hätten die Geschäftsführer das Entstehen von Guthaben auf den Konten zu verhindern gewußt. Zudem müsse sich das Finanzamt ein erhebliches Mitverschulden zurechnen lassen, da es keine zeitnahen Maßnahmen zur Beitreibung der Steuerschulden ergriffen habe. Wegen des klägerischen Vorbringens im einzelnen wird auf die Klagebegründung vom 3.6.1996 (Bl. 25–35 Finanzgerichtsakten) Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Haftungsbescheid und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Da...