rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH [III R 50/19)]
Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinzurechnung des Kindergeldanspruchs bei unterbliebener Auszahlung durch die Familienkasse
Leitsatz (redaktionell)
- Bei der Hinzurechnung des Kindergeldanspruchs nach § 31 S. 4 EStG kommt es nicht darauf an ob das Kindergeld tatsächlich ausgezahlt wurde. Der Kindergeldanspruch ist der tariflichen Einkommensteuer auch dann hinzuzurechnen, wenn die Festsetzung des Kindergeldes von der Familienkasse bestandskräftig abgelehnt worden ist.
- Das Finanzamt ist an die rechtliche Einschätzung der Familienkasse nicht gebunden und prüft im Rahmen des § 31 S. 4 EStG allein das materiell-rechtliche Bestehen des Kindergeldanspruchs.
- Die materiell-rechtlich wirkende Einschränkung des Kindergeldanspruchs nach § 66 Abs. 3 EStG führt nicht dazu, dass auch § 31 S. 4 EStG dahingehend zu verstehen ist, dass nur das tatsächlich unter Beachtung der Frist des §§ 66 Abs. 3 EStG an den Berechtigten gezahlte Kindergeld dem Umfang des der tariflichen Einkommensteuer hinzuzurechnenden Anspruchs entspricht.
Normenkette
EStG § 31 S. 4, § 66 Abs. 3
Streitjahr(e)
2017
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erhöhung der tariflichen Einkommensteuer um den Anspruch auf Kindergeld. Die Kläger erzielten im Streitjahr unter anderem Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit und sind Eltern des im September 1995 geborenen Kindes. Am 23.05.2018 beantragten die Kläger bei der zuständigen Familienkasse erstmals die Festsetzung von Kindergeld mit Rückwirkung mindestens ab Januar 2017, was die Familienkasse unter Verweis auf § 66 Abs. 3 EStG in der ab dem 01.01.2018 (wieder) gültigen Fassung ablehnte und das Kindergeld durch Bescheid vom 02.07.2018 erst ab November 2017 festsetzte und auszahlte.
In ihrer an den Beklagten (das Finanzamt, im Folgenden: ,FA') übermittelten Einkommensteuererklärung für 2017 beantragten die Kläger die Zusammenveranlagung sowie den Abzug des Kinderfreibetrages für das Kalenderjahr 2017, wobei sie in einem gesondert übermittelten Schreiben vom 27.05.2018 die Auffassung vertraten, dass das Kindergeld nicht in Höhe des Kindergeldanspruchs für das gesamte Kalenderjahr 2017 von 2.304,- Euro, sondern lediglich in Höhe des tatsächlich nur für November und Dezember 2017 ausgezahlten Kindergeldes von 384,- Euro der tariflichen Einkommensteuer hinzuzurechnen sei.
Das FA folgte dem nicht. Es setzte die Einkommensteuer für 2017 durch Bescheid vom 24.07.2018 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf … Euro fest, wobei es den Kinderfreibetrag i.S.d. § 32 Abs. 6 EStG in Höhe von 7.356,- Euro abzog und den Kindergeldanspruch für die gesamten 12 Monate des Jahres 2017 in Höhe von 2.304,- Euro der tariflichen Einkommensteuer hinzurechnete. Hiergegen legten die Kläger fristgerecht Einspruch ein und verwiesen auf ihr Anliegen zur Beschränkung der Hinzurechnung um das tatsächlich nur für zwei Monate gezahlte Kindergeld. Die übrigen Besteuerungsgrundlagen sind zwischen den Beteiligten unstreitig. Aus ebenfalls unstreitigen Gründen erhöhte das FA die Einkommensteuer für 2017 durch Bescheid vom 06.08.2018 unter Beibehaltung des Nachprüfungsvorbehalts auf … Euro und wies den Einspruch der Kläger sodann durch Einspruchsentscheidung vom 14.01.2019 als unbegründet zurück, worauf Bezug genommen wird. Hinzuzurechnen sei stets der für das Kalenderjahr bestehende Anspruch auf Kindergeld, ohne dass es darauf ankomme, inwieweit es aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht zu einer tatsächlichen Auszahlung des Kindergeldes gekommen sei (Verweis auf BFH vom 15.03.2012 – III R 82/09, BStBl. II 2013, 226).
Mit ihrer hiergegen am 12.02.2019 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Rechtsbegehren weiter. Die Festsetzung des Kindergeldes sei von ihnen aus Unerfahrenheit erst verspätet im Mai 2018 beantragt worden. Die in ihrem Fall angewandte Rechtslage verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Nach der parlamentarischen Begründung des § 66 Abs. 3 EStG in der Fassung des Steuerumgehungsbekämpfungsgesetzes vom 23.06.2017 (BGBl. I 2017, 1540 ff.) sei der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass die sechsmonatige Frist keine Auswirkungen auf den materiell-rechtlichen Kindergeldanspruch habe, sondern nur die Festsetzungsfristen des § 169 AO beeinflusse (Verweis auf BT-Drs. 18/12127, Seite 62). Die Vorschrift bewirkte durch die Rechtsfolge des § 31 Satz 4 EStG jedoch eine Inkongruenz zwischen Anspruch und Auszahlung, was dem Zweck des Kinderfreibetrages widerspreche, das Existenzminimum des Kindes zu würdigen. Das Bundesverfassungsgericht habe die Vorgängerregelung des § 66 Abs. 3 EStG nur unter der Voraussetzung für verfassungsgemäß erklärt, dass der Kinderfreibetrag dieser Funktion gerecht werde (Verweis auf BVerfG vom 06.11.2003 – 2 BvR 1240/02, HFR 2004, 260), was durch das Zusammenspiel der Vorschrift mit § 31 Satz 4 EStG n. F. jedoch gerade nicht mehr gewährleistet sei. Der genannten Entscheidu...