Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschränkung der Erbenhaftung. übergegangene Erstattungsforderung des Rentenversicherungsträgers. Berücksichtigung der Dürftigkeit des Nachlasses erst im Vollstreckungsverfahren. Kostenpflicht im sozialgerichtlichen Verfahren eines wegen einer Nachlassverbindlichkeit vom Rentenversicherungsträger in Anspruch genommenen Erben eines Versicherten. nochmalige förmliche Zustellung eines Widerspruchsbescheids
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Beschränkung der Erbenhaftung wegen übergegangener Erstattungsforderung des Rentenversicherungsträgers durch die Einrede der Dürftigkeit (§ 1990 BGB) lässt die Rechtmäßigkeit des gegen den Erben ergangenen Erstattungsbescheides unberührt. Die Dürftigkeit des Nachlasses ist daher nicht schon im Anfechtungsprozess, sondern erst im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen.
2. Der wegen einer Nachlassverbindlichkeit vom Rentenversicherungsträger in Anspruch genommene Erbe des Versicherten ist im sozialgerichtlichen Verfahren nicht kostenprivilegiert.
Orientierungssatz
1. Die Widerspruchsbehörde ist zwar grundsätzlich nicht befugt, durch eine nochmalige förmliche Zustellung eines Widerspruchsbescheids den erneuten Lauf der Klagefrist in Gang zu setzen (vgl BVerwG vom 11.5.1979 - 6 C 70/78 = BVerwGE 58, 100 und vom 18.4.1994 - 5 B 18/94 sowie LSG München vom 9.11.2011 - L 16 AS 247/11 = juris Rdnr 34), eine erneute Bekanntgabe (bzw förmliche Zustellung) eines Widerspruchsbescheids muss aber jedenfalls dann die Klagefrist nochmals auslösen, wenn sie aus der Sicht des Adressaten die erstmalige Bekanntgabe bedeutet.
2. Zum Leitsatz 2 vgl BSG vom 27.10.2016 - B 2 U 45/16 B = SozR 4-1500 § 183 Nr 13.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 11. Juli 2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat für beide Rechtszüge die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.304,16 EUR festgesetzt.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen ein Erstattungsverlangen der Beklagten in Höhe von 2.304,16 EUR.
Der Kläger ist Witwer der Versicherten C. A., die von der Beklagten seit dem 1. Juli 1997 neben einer Erwerbsunfähigkeitsrente (Bescheid vom 20. Mai 1998) auch Beitragszuschüsse zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung erhielt (Bescheid vom 27. Juli 1998). Nachdem ihr die E. Krankenversicherungs-AG mit Schreiben vom 19. September 2011 mitgeteilt hatte, dass die Kranken- und Pflegepflichtversicherung der Versicherten bereits mit Ablauf des 31. Juli 2005 beendet war, hob die Beklagte mit in der Sache bindend gewordenem Bescheid vom 16. November 2011 ihren Bescheid vom 27. Juli 1998 über die Bewilligung des Zuschusses zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung ab 1. August 2005 auf und verlangte von der Versicherten die Erstattung der für die Zeit vom 1. August 2005 bis 30. November 2011 bereits erbrachten Leistungen in Höhe von 2.292,41 EUR. Mit Schreiben vom 9. Januar 2012 mahnte die Beklagte die Zahlung dieses Betrages gegenüber der Versicherten an, setzte eine Mahngebühr in Höhe von 11,75 EUR fest und forderte sie außerdem auf, den Gesamtbetrag von 2.304,16 EUR innerhalb einer Woche nach Eingang dieses Mahnschreibens zu überweisen.
Die Versicherte verstarb am xx. xxx 2012. Sie wurde von dem Kläger, dem gemeinsamen Sohn und ihren beiden Kindern aus erster Ehe beerbt.
Daraufhin hörte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 11. Juli 2012 zu ihrer Absicht an, von ihm als gesetzlichem Erben der Versicherten 2.304,16 EUR zurückzufordern.
Mit Schreiben vom 21. Juli 2012 gab der Kläger unter Vorlage eines notariell beurkundeten Nachlassverzeichnisses an, dass die Kosten für die Beerdigung der Versicherten bei weitem die hinterlassenen Werte übersteigen würden. Aus diesem Grund bitte er die Beklagte darum, nicht auf der Zahlung der offenen Forderung zu bestehen. Er sei finanziell nicht in der Lage, den Erstattungsbetrag zu begleichen.
Mit Bescheid vom 10. August 2012 nahm die Beklagte den Kläger als Erben der verstorbenen Versicherten in Anspruch und verlangte von ihm die Erstattung der Gesamtforderung über 2.304,16 EUR. Der gegenüber der Versicherten erlassene Aufhebungs- und Erstattungsbescheid sei bestandskräftig geworden. Ein Erlass komme nur dann in Betracht, wenn feststehe, dass die Rückforderung wegen der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Zahlungspflichtigen keinen Erfolg haben werde. Der Kläger habe jedoch keine entsprechenden Unterlagen vorgelegt, so dass sie über einen Erlass nicht abschließend habe entscheiden können.
Hiergegen erhoben die Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 31. August 2012 namens und im Auftrag des Klägers Widerspruch. Infolge der Errichtung eines notariellen Nachlassverzeichnisses sei die Erbenhaftung auf den Nachlass beschränkt worden, der jedoch überschuldet sei. Vorsorglich werde daher gemäß § 1990 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Dürftigkeitseinrede erhoben. Die Durchführung einer Nachlassverwaltung durch das zu...