Dr. Andreas Nagel, Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Vermutlich werden sich viele Kanzleien zukünftig und dauerhaft so organisieren, dass eine flexible Kombination von persönlichem und digitalem bzw. virtuellem Informationsaustausch zwischen den Mitarbeitern und mit den Mandanten möglich ist. Mit einer Kanzleiorganisation, die den unterschiedlichen Erwartungen aller Beteiligten gerecht wird, können die Ertragskraft und die Wettbewerbsfähigkeit der Kanzlei nachhaltig gesichert werden.
Digitalisierung der Arbeitsabläufe
Durch den Einsatz von EDV-Programmen lassen sich Bearbeitungszeiten und -kosten oft deutlich reduzieren.
Deckungsbeitrag der Fibu steigern
Eine Kanzlei mit 250 Finanzbuchführungen strebt an, die Bearbeitungszeit je FiBu um durchschnittlich 1 Stunde zu reduzieren. Annahme: Die Verkürzung der Bearbeitungszeit gelingt nur in 20 % der Fälle (bei 50 FiBu). Folge: Bei einem Stundensatz des Bearbeiters von 50 EUR steigt der Deckungsbeitrag aus diesen FiBu um (50 FiBu × 1 Std. × 50 EUR =) 2.500 EUR pro Monat (= 30.000 EUR pro Jahr).
Der bisherige Digitalisierungsprozess wird sich sicherlich weiter fortsetzen oder sogar beschleunigen. Jede Kanzlei, die bei der Digitalisierung ihrer Arbeitsabläufe noch Defizite vermutet, sollte daher diese Defizite schnellstmöglich beseitigen. Informieren Sie sich regelmäßig bei Ihrem EDV-Anbieter über neue elektronische "Hilfsmittel", welche die Arbeit in der Kanzlei erleichtern oder beschleunigen können.
Die durch Digitalisierung eingesparte Bearbeitungszeit kann dann idealerweise zum Aufbau neuer Beratungs- und Honorarfelder aus dem Bereich der vereinbaren Tätigkeiten genutzt werden.
Virtuelle Teamorganisation
Die Möglichkeit, digital im Home-Office zu arbeiten, ist für viele Mitarbeiter ein entscheidender Faktor bei der Wahl ihres Arbeitgebers. Jede zukunftsorientierte Kanzlei sollte daher die Tätigkeit im Home-Office ermöglichen und einen entsprechenden Kanzleistandard definieren. Dazu gehören Regelungen über die technische und räumliche Gestaltung des Home-Office (zwei Bildschirme, Software, schnelle Internetverbindung, Kamera und Mikrofon, Mobiltelefon, ergonomische Büromöbel, Einhaltung der Verschwiegenheitspflicht und der Datenschutzvorschriften) sowie Regeln für die Kommunikation im Team (Erreichbarkeit von Mitarbeitern und Kanzleiinhabern, Arbeitszeiten, Zeit- und Leistungserfassung, Termine und Gesprächsregeln für Mitarbeiterbesprechungen).
Home-Office-Arbeitsplätze können für die Kanzlei zudem deutliche Auswirkungen auf die erforderliche Bürofläche und damit auf die Höhe der Raumkosten haben. Die Bürofläche kann möglicherweise dauerhaft reduziert werden oder bei unveränderter Bürofläche können mehr Mitarbeiter beschäftigt werden. Wenn bestimmte Mitarbeiter nur an einzelnen Tagen in die Kanzlei kommen, können diese abwechselnd einen bestimmten Arbeitsplatz nutzen. Voraussetzung: Der Arbeitsplatz wird am Ende des Arbeitstages vom betreffenden Mitarbeiter komplett aufgeräumt.
Virtuelle Meetings und Besprechungen
Durch den Einsatz von Videokonferenzsystemen können Fahrtzeiten und Fahrtkosten oft deutlich reduziert werden. Virtuelle Team-Meetings sind zudem deutlich einfacher durchführbar als persönliche Mitarbeiterbesprechungen, weil nicht alle Mitarbeiter zeitgleich in der Kanzlei anwesend sein müssen. Bei Videokonferenzen ist die Teilnahme von jedem beliebigen Ort aus möglich. Das Online-Meeting kann außerdem aufgezeichnet und nachträglich von allen Mitarbeitern angesehen werden, die ausnahmsweise nicht am Meeting teilnehmen konnten.
Für Kanzleiinhaber besteht die Möglichkeit, sich zeitsparend mit einer Videobotschaft an das gesamte Team zu wenden. Das Videokonferenzsystem kann gleichermaßen für Mandantengespräche genutzt werden. Auf diese Weise wird eine überregionale Mandantengewinnung und -bindung erleichtert und die Bedeutung des Kanzleistandorts tritt zunehmend in den Hintergrund. Als Ausgleich für den reduzierten persönlichen Kontakt können regelmäßige Kanzlei-Events für Mitarbeiter und Mandanten durchgeführt werden, denn auch häufige virtuelle Kontakte werden von vielen Mitarbeitern und Mandanten nicht als gleichwertiger Ersatz für den persönlichen Kontakt angesehen.
Mitarbeiterführung aus der Ferne
Die virtuelle Zusammenarbeit erfordert vom Kanzleiinhaber meist auch ein verändertes Führungsverhalten. In der Kanzlei ist es möglich, im persönlichen Gespräch ganz beiläufig zu erfahren, welche Themen die Mitarbeiter gerade beschäftigen und wie der Bearbeitungsstand einzelner Aufträge ist. Im Home-Office fehlt diese Möglichkeit. Daher ist es wichtig, regelmäßig Kontakt mit jedem Mitarbeiter aufzunehmen, z. B. durch Telefon- oder Videoanrufe. Wenn Sie für diese Anrufe einen festen Termin vereinbaren, wird der Mitarbeiter den Anruf auch nicht als "spontanen Kontrollanruf" empfinden. Für die virtuelle Aufgaben- und Projektplanung können digitale Kanbanboards genutzt werden, die einen Überblick über Aufgaben und Bearbeitungsstände ermöglichen.
Autor: Dr. Andreas Nagel, Steuerberater, Neustadt