Dr. Andreas Nagel, Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Frage:
Im Zusammenhang mit der Haftung des Steuerberaters wegen einer Pflichtverletzung habe ich in der Vergangenheit des Öfteren gelesen, dass Ausgangspunkt der Schadensberechnung die Differenzhypothese sei, und dass in diesem Zusammenhang ein Gesamtvermögensvergleich anzustellen sei. Im Einzelfall sei darüber hinaus eine konsolidierte Schadensberechnung durchzuführen.
Ich gebe zu, dass mir der Begriff des Gesamtvermögensvergleichs lediglich im Zusammenhang mit der Teilnahme an Betriebsprüfungen geläufig ist. Mit den übrigen Begriffen bin ich indes bei der steuerlichen Beratung meiner Mandanten noch nicht konfrontiert worden. Könnten Sie daher die Grundzüge zur Schadensberechnung wegen einer Pflichtverletzung des Steuerberaters und damit einhergehend die Begrifflichkeiten erläutern?
Antwort:
Die von Ihnen angesprochene Thematik ist vielschichtig und kann hier nur allgemein dargestellt werden. Insbesondere der BGH hat sich bereits in mehreren Entscheidungen damit befasst.
Schadensersatzpflicht bei Beratungsvertrag
Die Prüfung der Pflichtverletzung ist am Zweck der Steuerberatung auszurichten, der darin liegt, die dem Mandanten fehlende Sach- und Rechtskunde auf diesem Gebiet zu ersetzen. Die pflichtmäßige Steuerberatung verlangt daher sachgerechte Hinweise über Art, Größe und mögliche Höhe eines Steuerrisikos, um den Mandanten in die Lage zu versetzen, eigenverantwortlich seine Rechte und Interessen zu wahren und eine Fehlentscheidung in seinen steuerlichen Angelegenheiten vermeiden zu können. Der Mandant muss imstande sein, nach den erhaltenen Hinweisen seine Interessen und erheblichen Steuerrisiken selbst abzuwägen (vgl. Seichter in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., Stand: 26.1.2021, § 280 BGB, Rn. 104).
Grundlage eines Schadensersatzes wegen Pflichtverletzung ist § 280 BGB i. V. m. dem geschlossenen Beratungsvertrag. Hat der Steuerberater eine ihm aus diesem Vertrag obliegende Pflicht verletzt, kann der Mandant nach der genannten Bestimmung Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens verlangen.
Gesamtvermögensvergleich und Differenzhypothese
Die Schadensberechnung richtet sich nach §§ 249ff. BGB. Der ggf. zu ersetzende Schaden ist durch einen Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen Vermögenslage zu ermitteln, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre (Differenzhypothese). Dies erfordert einen Gesamtvermögensvergleich, der alle von dem haftungsbegründenden Ereignis betroffenen finanziellen Positionen umfasst. Es geht bei dem Gesamtvermögensvergleich nicht um Einzelpositionen, sondern um eine Gegenüberstellung der hypothetischen und der tatsächlichen Vermögenslage.
Bezugspunkt des Gesamtvermögensvergleichs ist grundsätzlich das Vermögen des Geschädigten, nicht dasjenige Dritter. Grundsätzlich kann aufgrund eines Vertrags nur derjenige den Ersatz eines Schadens verlangen, bei dem der Schaden tatsächlich eingetreten ist und dem er rechtlich zur Last fällt. Soweit nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte oder der Drittschadensliquidation gegeben sind, hat der haftpflichtige Steuerberater nur für den Schaden seines Mandanten einzustehen. Ebenso ist es ihm verwehrt, sich auf Vorteile zu berufen, die Dritte infolge der schädigenden Handlung erlangt haben mögen (statt vieler: BGH, Urteil v. 5.2.2015, IX ZR 167/13, DB 2015, S. 739, m. w. N.).
Konsolidierte Schadensbetrachtung
Die konsolidierte Schadensbetrachtung (oder schadensrechtliche Gesamtbetrachtung) ist die Ausnahme vom Grundsatz, dass Bezugspunkt des im Rahmen der Steuerberaterhaftung erforderlichen Gesamtvermögensvergleichs nur das Vermögen des Geschädigten ist und nicht dasjenige Dritter. Ausnahmen von diesem Grundsatz hat der BGH bislang insbesondere im Zusammenhang mit der Übertragung von Vermögenswerten an Familienangehörige zugelassen.
Steuerliche Entlastung durch Beteiligung von Familienangehörigen
Gewerbetreibende sind oft bereit, Familienangehörige ohne gleichwertige Gegenleistung an ihrem Unternehmen zu beteiligen, insbesondere, wenn hiermit eine steuerliche Entlastung der Familie verbunden ist. Dann ist eine solche sog. Vermögensverschiebung gewollt und gewünscht, und somit liegt kein Schaden im Rechtssinn vor (bzw. im Unterbleiben der Vermögensverschiebung liegt kein mit dem Steuerschaden verrechenbarer Vermögensvorteil vor. BGH, Urteil v. 20.3.2008, IX ZR 104/05, DB 2008, S. 1038).
Eine konsolidierte Schadensbetrachtung hat nur dann zu erfolgen, wenn die Einbeziehung der Vermögensinteressen des Dritten nach dem Inhalt des Beratungsvertrags geschuldet war. Weitere Voraussetzung für eine einheitliche Schadensbetrachtung ist, dass es sich beim Vermögen mehrerer unterschiedlicher Rechtsträger wirtschaftlich um dieselbe Vermögensmasse handelt. Demnach sind die Voraussetzungen für eine konsolidierte Schadensberechnung nicht schon dann erfüllt, wenn der Beratungsvertrag lediglich zur Einbeziehung der Vermögensinteressen ei...