Simon Beyme, Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Der Gesetzgeber hat in § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG geregelt, dass derjenige, der infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, angemessen entschädigt wird (Einzelheiten zu der mit Wirkung vom 3.12.2011 in Kraft getretenen Vorschrift wurden bereits in HHG 8/2017 und HHG 5/2018 vorgestellt und analysiert. Zudem wurde die Regelung in HHG 3/2019 unter kostenrechtlichen Gesichtspunkten beleuchtet).
Bislang hatte der für Rechtsstreite, die die Gewährung von Entschädigungen in finanzgerichtlichen Verfahren gem. §§ 198ff. GVG betreffen, zuständige X. Senat noch nicht über die Frage entschieden, ob PKH-Verfahren, die einem finanzgerichtlichen Verfahren (isoliert) vorgeschaltet sind, im Fall unangemessen langer Bearbeitungsdauer Entschädigungsansprüche nach § 198 GVG auslösen können. Sollte dies der Fall sein, schließt sich hieran die weitere praxisrelevante Frage an, welche Dauer für ein isoliertes PKH-Verfahren noch als zeitlich angemessen anzusehen ist. Auf beide Fragen hat der X. Senat des BFH im letzten Jahr Antworten gegeben.
Der (umfangreiche) Ausgangssachverhalt
Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 15.8.2013 beim FG unter dem Az. 6 K 214/13 (PKH) isoliert die Bewilligung von PKH für eine Untätigkeitsklage u. a. wegen Kindergeld ab 2007 und erhob am 30.3.2014 eine Verzögerungsrüge. Mit am 16.6.2014 zugestelltem Beschluss vom 14.5.2014 lehnte das FG den PKH-Antrag ab.
Am 22.6.2014 beanstandete die Klägerin mit einem an das FG gerichteten und mit "Äußerung bzw. Gegenvorstellung" überschriebenen Schriftsatz die Rechtswidrigkeit des Ablehnungsbeschlusses. Das FG führte die Eingabe zunächst unter dem vorherigen Az. 6 K 214/13 (PKH). Im Laufe des Jahres 2015 erhielt die Eingabe – ohne Angabe von Gründen – das Az. 6 K 276/15.
Zwischenzeitlich – und zwar am 4.9.2014 – hatte die Klägerin unter dem Az. 6 K 192/14 (PKH) einen zweiten PKH-Antrag gestellt und machte die "Nichtigkeit und Gesetzeswidrigkeit" von Bescheiden der Familienkasse geltend. Am 10.3.2015 erhob die Klägerin zudem unter Benennung der Az. 6 K 214/13 (PKH) sowie 6 K 192/14 (PKH) eine weitere Verzögerungsrüge.
Am 21.7.2016 lehnte das FG zum einen die Eingabe vom 22.6.2014, die es als Anhörungsrüge wertete, mit der Begründung ab, es habe den umfangreichen Sach- und Rechtsvortrag der Klägerin im Verfahren 6 K 214/13 (PKH) zur Kenntnis genommen und rechtlich gewürdigt. Zum anderen wies das FG den neuen PKH-Antrag vom 4.9.2014 im Verfahren 6 K 192/14 (PKH) ab.
In der Folge erhob die Klägerin beim BFH Entschädigungsklage nach § 198 GVG und machte geltend, die Laufzeit der beiden PKH-Verfahren beim FG hätten insgesamt 59 Monate, und zwar vom 15.8.2013 bis zum 21.7.2016, betragen. Von daher sei an sie eine Entschädigung nach § 198 Abs. 2 GVG zu zahlen.
BFH klärt mehrere offene Fragestellungen
Der BFH hat in seiner Entscheidung (Urteil v. 20.3.2019, X K 4/18, BFH/NV 2019, S. 757) mehrere offene Fragestellungen im Bereich der Entschädigungsklagen geklärt.
- PKH-Verfahren ist Gerichtsverfahren i. S. v. § 198 GVG
Die im Streitfall vor dem FG isoliert geführten PKH-Verfahren sind taugliche Ausgangsverfahren nach § 198 Abs. 6 Nr. 1 Halbsatz 1 GVG, denn hiernach kann Gegenstand einer Entschädigungsklage jedes Gerichtsverfahren, u. a. einschließlich eines Verfahrens zur Bewilligung von Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe sein.
Sowohl wegen der ausdrücklichen Erwähnung im Gesetz als auch vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Gebots der Rechtsschutzgleichheit von bemittelten und unbemittelten Rechtsschutzsuchenden entspricht es höchstrichterlichen Rechtsgrundsätzen, dass jedenfalls ein vom Hauptsacheverfahren isoliert geführtes PKH-Verfahren dem Anwendungsbereich des § 198 GVG unterfällt. Auch bei einem solchen Verfahren ist eine angemessene zügige richterliche Entscheidung geboten. Kommt sie zu spät, kann dies den Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes verletzen.
Wenn das Hauptsacheverfahren noch nicht anhängig ist
Die Entscheidung des BFH betrifft (lediglich) PKH-Verfahren, die einem finanzgerichtlichen Klageverfahren oder sonstigen Verfahren vorgeschaltet sind, d. h. bei denen das Hauptsacheverfahren noch nicht anhängig gemacht wurde. Keine Aussage hat der BFH dazu getroffen, ob auch ein neben einem bereits anhängigen Hauptsacheverfahren geführtes PKH-Verfahren im Fall verzögerter Entscheidung selbstständig entschädigungsrelevant ist. Dies dürfte jedoch nicht der Fall sein, denn dann ist das PKH-Verfahren bloßer Annex zum Hauptsacheverfahren (vgl. RiBFH Dr. Jens Reddig in seiner Urteilsanmerkung in HFR 2019, S. 692 ff. unter 1., mit Hinweis auf BSG, Urteil v. 7.9.2017, B 10 ÜG 3/16 Rn. 29 f., SozR 4-1720 § 198 Nr. 14).
- Angemessene Dauer eines PKH-Verfahrens
Zum Zweck der Typisierung und Rechtsvereinfachung hat der X. Senat des BFH die Vermutung aufgestellt, dass die Dauer eines finanzgerichtlichen Klageverfahrens i. S. v. § 198 Abs. 1 GVG noch angemessen ist, wenn das Gericht gut 2 Jahre nach dem Ein...