Dr. Andreas Nagel, Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
In Verfahren vor den Finanzgerichten und dem BFH ist der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (§ 52 Abs. 1 GKG). Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgeblich (§ 52 Abs. 3 Satz 1 GKG). Entscheidend ist grundsätzlich der Steuerbetrag, um den unmittelbar gestritten wird. Mittelbare Auswirkungen auf Folgejahre sind regelmäßig unbeachtlich.
Streitwertbestimmung bei "Verschiebung" unstreitiger Umsatzsteuerschuld
Eine Ausnahme vom Grundsatz, dass für die Streitwertbestimmung nur der im angefochtenen Steuerbescheid streitige Steuerbetrag maßgebend ist, gilt jedoch, wenn es lediglich um die Verschiebung einer sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach unstreitigen Umsatzsteuerschuld von einem Besteuerungszeitraum auf einen späteren Besteuerungszeitraum geht. Dann ist der Streitwert geringer festzusetzen als der Steuerbetrag, dessen Festsetzungsverschiebung begehrt wird, und nach demfinanziellen Vorteil einer späteren Zahlung zu bemessen.
So hat der BFH z. B. entschieden, dass
- bei Streitigkeiten, in denen es lediglich um die Verschiebung einer dem Grund und der Höhe nach anerkannten Umsatzsteuervorauszahlung von einem Besteuerungszeitraum auf einen späteren Besteuerungszeitraum geht, der Streitwert geringer festzusetzen ist als der (dem Grunde und der Höhe nach anerkannte) Steuerbetrag, dessen Festsetzungsverschiebung begehrt wird. Es sei daher nicht zu beanstanden, den Streitwert gem. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG 1975 nach dem finanziellen Vorteil bei einer späteren Zahlung nach dem Grundsatz der Verzinsung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (entsprechend § 238 AO mit 0,5 % je Monat) zu ermitteln (BFH, Beschluss v. 25.2.1991, V E 5/90, BFH/NV 1992, S. 127);
- für den Fall, dass die Klägerin ihre Steuerpflicht dem Grunde und der Höhe nach anerkennt und im Rechtsstreit lediglich geltend macht, die Steuer in einem späteren Besteuerungszeitraum entrichten zu müssen, als vom Finanzamt gefordert, der Streitwert geringer anzusetzen ist als der an sich unstreitige Steuerbetrag. Sei mangels genauerer Angaben über die von der Klägerin angestrebten späteren Besteuerungszeiträume eine Konkretisierung des angestrebten wirtschaftlichen Vorteils (Zinsvorteil) nicht möglich, sei es angemessen, den Streitwert in Anlehnung an § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG (i. d. F. v. 15.12.1975) mit 6.000 DM anzunehmen (BFH, Beschluss v. 12.8.1994, V E 1/94, BFH/NV 1995, S. 428 m. w. N.).
Bei "Verschiebung" unstreitiger Umsatzsteuervergütung gilt Entsprechendes
Das FG Düsseldorf (Urteil v. 16.3.2018, 1 K 338/16 U) hat entschieden, dass Entsprechendes im umgekehrten Fall gilt, in dem es lediglich um die Verschiebung einer unstreitigen Umsatzsteuervergütung bzw. eines unstreitigen Vorsteuerabzugs von einem Besteuerungszeitraum in einen früheren Besteuerungszeitraum geht. In diesem Fall bemesse sich der Streitwert nach dem finanziellen Vorteil eines früheren Vorsteuerabzugsrechts, der sich aus dem daraus resultierenden Verzinsungsvorteil nach §§ 233a, 238 AO ergebe.
Im Streitfall war es unstreitig, dass der Klägerin aus Rechnungen für im Jahr 2008 bezogene Lieferungen ein Recht auf Vorsteuerabzug i. H. v. 15.160.725 EUR zustand. Gestritten wurde allein um die Frage, in welchem Besteuerungszeitraum das Vorsteuerabzugsrecht geltend gemacht werden konnte. Durch die vom Finanzamt vorgenommene Verschiebung des dem Grunde und der Höhe nach unstreitigen Vorsteuerabzugsrechts aus dem Streitjahr 2008 in den Veranlagungszeitraum 2014 hatte sich die Belastung der Klägerin mit Nachzahlungszinsen um den Betrag von 4.927.227 EUR erhöht. Diesen Betrag setzte das FG mithin als Streitwert an.
Bemessung des Streitwerts bei Umsatzsteuer und Einkommensteuer unterschiedlich
Während es bei der Umsatzsteuer sachgerecht ist, den Streitwert bei der Verschiebung einer unstreitigen Umsatzsteuerschuld bzw. -vergütung lediglich nach dem Verzinsungsvorteil bzw. -nachteil zu bemessen, ist bei der Einkommensteuer für die Bemessung des Streitwerts ausschließlich der Steuerbetrag maßgebend, um den gestritten wird. Der BFH (Beschluss v. 28.3.2012, VIII E 2/12, BFH/NV 2012, S. 1318) hat es – m. E. zu Recht – abgelehnt, den Streitwert bei Streitigkeiten über Einkommensteuerfestsetzungen deshalb geringer festzusetzen, weil lediglich eine Verschiebung der Steuerschuld in Streit gewesen ist (offenlassend, aber andeutend, dass im Fall eines Streits über die zeitliche Zuordnung von nach dem EStG zu erfassenden Einkünften ebenso zu entscheiden sein könnte wie bei der Umsatzsteuer: BFH, Beschluss v. 14.12.1970, IV B 87/70, BStBl 1971 II, S. 206 a. E.). Der VIII. Senat des BFH hat dies damit begründet, dass – anders als bei der Umsatzsteuer – bei der Einkommensteuer die Höhe der Steuer bei einer Verschiebung von Einkünften wegen unterschiedlicher Progression in unterschiedlichen Veranlagungszeiträumen nur in Ausnahmefällen identisch sein dürfte.