Jürgen Berners, Dr. Dario Arconada Valbuena
Die Entscheidung des OVG Bautzen (Urteil v. 20.11.2018, 5 E 18/18) für den anwaltlichen Honorarbereich gibt Anlass, die Rechtslage – ausgehend von der Rechtsansicht des BGH – zu betrachten und die Folgen für die Toleranzgrenze des Steuerberaters aufzuzeigen.
Nach VV-Nr. 2300 RVG gibt es einen vorgeschriebenen Gebührenrahmen von 0,5-2,5 für die Geschäftsgebühr. Die Regelgebühr der Geschäftsgebühr weist einen Satz von 1,3 auf. Es handelt sich um eine sog. Rahmengebühr.
Nach § 14 RVG bestimmt sich die Gebühr des Rechtsanwalts im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände: Vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Mandanten nach besonderem Ermessen unter Berücksichtigung eines besonderen Haftungsrisikos des Rechtsanwalts. Es ist also eine Einzelfallentscheidung unter Beachtung der aufgezeigten Kriterien.
Ursprünglich hatte der BGH (Urteil v. 13.1.2011, IX ZR 110/10) entschieden, dass die Erhöhung der 1,3-fachen Regelgebühr auf eine 1,5-fache Gebühr einer gerichtlichen Überprüfung entzogen sei. Es entspreche allgemeiner Meinung, dass dem Rechtsanwalt bei der Festlegung der konkreten Gebühr eine Toleranzgrenze von 20 % zustehe. Halte sich der Rechtsanwalt innerhalb dieser Grenzen, sei die von ihm festgelegte Gebühr jedenfalls nicht i. S. d. § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG unbillig (Anmerkungen zum Fall: 20 % von 1,3 sind 0,26 % – im Fall wurden jedoch nur 0,2 % mehr begehrt.). Toleranzgrenze hieß demnach, dass dieser Zuschlag von 20 % nicht begründet werden musste.
In einer kurz darauf erfolgten Entscheidung meinte der BGH (Urteil v. 11.7.2012, VIII ZR 323/11) hingegen, dass ein Gericht zu prüfen habe, ob eine Überschreitung der Kappungsgrenze von 1,3 gerechtfertigt sei. Ohne Vortrag könne keine Überprüfung erfolgen, und es bleibe bei der Regelgebühr von 1,3. Dem Rechtsanwalt stehe nach der sog. Toleranzrechtsprechung bei der Festlegung der konkreten Gebühr ein Spielraum von 20 % zu.
Die Toleranzrechtsprechung komme jedoch erst dann zum Zuge, wenn die Kappungsgrenze zu Recht überschritten sei, weil es sich um eine umfangreiche oder schwierige Sache handele. Dies sei vom Gericht genauso zu überprüfen wie andere gesetzliche Tatbestandsmerkmale. Das Gericht habe eine Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen. Ein entsprechender Vortrag zu den Merkmalen "umfangreich" und "schwierig" ist danach erforderlich. Ansonsten könne immer anstatt der 1,3-fachen Regelgebühr eine 1,5-fache Geschäftsgebühr verlangt werden. Der BGH ruderte also zurück – jedoch ohne Beachtung des Wortlauts des § 14 RVG.
Die Vorschrift enthält weitere gebührenerhöhende Merkmale außer "umfangreich" und "schwierig". Das scheint der BGH übersehen zu haben. Jedenfalls begründete er nicht, warum er nur auf diese Tatbestandsmerkmale abstellt.
Das OLG Frankfurt (Urteil v. 5.10.2018, 8 U 203/17) hat für die Bestimmung von Satzrahmengebühren zutreffender Weise auf § 11 StBVV abgestellt, der die entsprechenden Kriterien des § 14 RVG aufweist. Bezug nehmend auf das OLG Hamm (Urteil v. 26.11.2013, 25 U 5/13) weist es darauf hin, dass die Darlegungs- und Beweislast für die Billigkeit der vom Steuerberater getroffenen Gebührenbestimmung grundsätzlich bei ihm liege. Ohne näheren Vortrag i. S. d. § 11 StBVV könne er die Mittelgebühr beanspruchen (sog. verkürzte Darlegungslast). Das OLG Frankfurt stimmte dem BGH also zu.
Für die Praxis von Interesse sind die weiteren Ausführungen im Hinblick auf die Beweiserhebung. Ein Gericht darf bei Unverhältnismäßigkeit der Beweisaufnahme nach § 287 ZPO selbst schätzen. Das Gesetz nehme dabei in Kauf, dass das Ergebnis der Schätzung mit der Wirklichkeit vielfach nicht übereinstimme. Allerdings solle die Schätzung möglichst nah an diese heranführen. Eine Schätzung habe nur dann zu unterbleiben, wenn sie mangels konkreter Anhaltspunkte vollkommen willkürlich wäre. Für den Steuerberater bedeutet dies, dass er eine unpassende Schätzung vermeiden kann, wenn er detailliert zur Gebührenerhöhung vorträgt und diese unter Beweis stellt.
Für den anwaltlichen Honorarbereich hat das OVG Bautzen (a. o. O.) eine Entscheidung zu der Toleranzgrenze von 20 % getroffen. Im Streitfall begehrte ein Rechtsanwalt die Geschäftsgebühr mit dem Satz von 2,5. Das OVG hielt eine Gebühr von 1,8 für objektiv angemessen. Diese Gebühr könne nicht nochmals einen Toleranzzuschlag von 20 % erfahren.
Das Urteil ist dahingehend zu verstehen, dass ein Toleranzzuschlag von 20 % dann zum Tragen kommt, wenn ein schlüssiger und beweisbarer Vortrag vorliegt und ein Sachverständigengutachten unterhalb dieser 20 % bleibe. In einem solchen Fall bleibe es bei der Toleranz von 20 %, auch wenn der Sachverständige weniger als 20 % für angemessen erachtet. Verlangt der Berufsträger mehr als 20 % und trägt dazu vor und bietet Beweis an, erkennt der Sachverständige jedoch einen Zuschlag von unter 20 % für zutreffend, bleibt es dabei: Die Toleranzgrenze greift nicht ein. Diese Entscheidung...