0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift geht im Wesentlichen auf das Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz (UVEG) v. 7.8.1996 (BGBl. I S. 1254) zurück. Gemäß Art. 3 Nr. 9 des Dritten Wahlrechtsverbesserungsgesetzes v. 29.4.1997 (BGBl. I S. 968) ist die Bestimmung in Abs. 2 Satz 3 modifiziert worden. Inhaltlich ist § 82 mit den früheren §§ 571 Abs. 1 und 2 und 576 Abs. 1 bis 5 und Abs. 7 RVO zu vergleichen. Abs. 2 Satz 2 wurde durch Gesetz zur Einführung des Bundesfreiwilligendienstes v. 28.4.2011 (BGBl. I S. 687) mit Wirkung zum 3.5.2011 geändert.
1 Allgemeines
Rz. 2
§ 82 verfolgt den Zweck, den Lebensstandard von Unfallgeschädigten im Jahr vor dem Versicherungsfall zum Orientierungsmaßstab für die gesetzlichen Geldleistungen in der Unfallversicherung zu machen.
2 Rechtspraxis
2.1 Regelfall
Rz. 3
Nach Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift ist die Berechnungsgrundlage des Jahresarbeitsverdienstes (JAV) das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen (§§ 14, 15 SGB IV) der Versicherten in den 12 Monaten vor Eintritt des Versicherungsfalls. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Versicherten im Jahr vor dem Versicherungsfall lückenlos Entgelt bezogen haben.
Rz. 4
Arbeitsentgelte sind alle laufenden oder einmaligen Bruttoeinnahmen aus nichtselbständiger Arbeit (§ 14 SGB IV). Dazu gehören neben Lohn oder Gehalt auch Sachbezüge und Gratifikationen.
Arbeitseinkommen ist der Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit.
Der Begriff Gesamtbetrag ist inhaltlich deckungsgleich mit dem Begriff Gesamteinkommen nach § 16 SGB IV. Danach bedeutet Gesamteinkommen die Summe der Einkünfte i. S. d. Einkommensteuerrechts. Entsprechend findet zugunsten des Verletzten bei der Berechnung des JAV nicht nur das aufgrund der unfallbedingten Tätigkeit erzielte Einkommen Berücksichtigung. Auch etwa das verdiente Entgelt aus einer Zweitbeschäftigung außerhalb des Unfallbetriebs wird Teil des JAV.
2.2 Tarifvertragliche Ansprüche
Rz. 5
Abs. 1 Satz 2 berücksichtigt Ansprüche, die rückwirkend durch Tarifvertrag begründet wurden. Damit werden Erhöhungen berücksichtigt, die im zu berücksichtigenden Zeitraum zum Vorteil der Versicherten zu einem höheren JAV und damit auch zu einer höheren nach dem JAV berechneten Geldleistung führen können.
2.3 Auffüllen
Rz. 6
Abs. 2 Satz 1 bestimmt für die Regelberechnung das Auffüllen von Zeiten ohne Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen.
Voraussetzung ist in jedem Fall, dass zumindest für einen Tag des Jahres Einkommen bezogen wurde. Das Auffüllen eines gesamten Jahres mit fiktivem Arbeitseinkommen ist nicht zulässig (BSG, SozR 2200, § 571 RVO Nr. 23).
Das für das Auffüllen von entgeltlosen Zeiten zu ermittelnde Einkommen zur Berechnung des Regelentgelts für die 12 Kalendermonate vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist, ergibt sich nach der Formel:
Anzahl der Verdienstausfalltage × Arbeitsentgelt/Arbeitseinkommen an den Verdiensttagen |
Anzahl der Verdiensttage. |
Die nach dieser Formel errechnete Summe ist mit dem tatsächlich verdienten Geld zu addieren.
Rz. 7
Ein Versicherter arbeitet lückenlos von Januar bis Mai eines Jahres und verdient durchschnittlich 2.500,00 EUR.
Für die Zeit von Juni bis Dezember des Jahres nimmt er unbezahlten Urlaub. In der ersten Januarwoche nach Wiederaufnahme der Tätigkeit im Folgejahr kommt es zu einem Versicherungsfall, der eine Rentenleistung nach sich zieht.
Für die "Hochrechnung" des Durchschnittsentgelts der Monate Januar bis Mai werden als Verdienst- oder Verdienstausfalltage bei vollen Monaten 30 Tage pro Monat als Berechnungsgrundlage herangezogen. Entsprechend beträgt im vorliegenden Fall der JAV, sonstige Einnahmen außer Acht lassend und von 13 Monatsgehältern ausgehend, 32.500,00 EUR.
210 Tage (Juni bis Dez.) x 12.500,00 EUR (Januar bis Mai – 150 Tage)
geteilt durch 150 Verdiensttage
= 17.500,00 EUR + 15.000,00 EUR (12.500,00 EUR + 2.500,00 EUR 13. Monatsgehalt)
= 32.500,00 EUR JAV
Rz. 8
Ein Zurückgreifen auf frühere Zeiträume wird ausgeschlossen, damit eine möglichst zeitnahe Berechnungsgrundlage maßgebend ist. Im Einzelfall sich dadurch ergebende erhebliche Unbilligkeiten sind über § 87 auszugleichen.
Rz. 9
Ein Versicherter arbeitet in einem Jahr lückenlos und verdiente dabei 30.000,00 EUR.
Ende dieses Jahres, in dem er ohne Unterbrechung arbeitete, erhält er durch eine Erbschaft eine größere Summe Geld und beschließt, das komplette Jahr darauf mit einer Weltreise zu verbringen. Mit dem Arbeitgeber ist vereinbart, dass die Tätigkeit im Januar des auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres unter gleichen Bedingungen wieder aufgenommen werden soll.
In der ersten Januarwoche nach Wiederaufnahme der Tätigkeit kommt es zu einem Versicherungsfall, der eine Rentenleistung nach sich zieht.
Rz. 10
Die "Hochrechnung" nach Abs. 2 Satz 1 kommt hier nicht in Betracht. Denn Voraussetzung dafür ist nach der unter Rz. 6 zitierten Rechtsprechung des BSG der zumindest für einen Tag des Jahres erfolgte Bezug von Einkommen. Dies war im Urlaubsjahr nicht der Fall. Da das Zurückgreifen auf frühere Zeiträume, wie bereits unter Rz. 8 erwähnt, ausgeschlossen ist, um eine möglichst zeitnahe Berec...