Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
a) Darlegungslast in Urteil und Anklage
Rz. 1344
Die Darlegungslast bei Hinterziehung von Lohnsteuer und Sozialabgaben hat der BGH wie folgt umrissen: Das Urteil darf nicht lediglich die jeweils verkürzten Lohnsteuern und die nicht abgeführten Beiträge zur Sozialversicherung pauschal feststellen. Es muss die für die Ermittlung des Schuldumfangs maßgeblichen Berechnungsgrundlagen enthalten. Diese Berechnungsgrundlagen muss der Tatrichter selbst darlegen. Er darf sich stattdessen hinsichtlich der Richtigkeit der Berechnung nicht nur auf die Angaben von als Zeugen vernommenen Ermittlungspersonen (z.B. Steufa-Beamten) beziehen.
Rz. 1344.1
Zu der Feststellungslast bei Verurteilung des Arbeitgebers wegen Hinterziehung von Lohnsteuer und zur geänderten neueren BGH-Rspr. m.w.N. s. Rz. 1326 ff., 1334.
Allein der Umstand, dass der Angeklagte Scheinrechnungen an andere Unternehmen der Baubranche ausgestellt hat, genügt nicht, eine Beihilfestrafbarkeit zu Steuerhinterziehungen und Beitragsvorenthaltungen nach § 266a Abs. 1 StGB durch diese Unternehmen zu begründen. Darin hat der BGH eine lückenhafte Beweiswürdigung erkannt. Es genüge nicht, wenn die konkreten Tathandlungen vom Gericht nur pauschal vermutet werden und keine Feststellungen dazu getroffen werden, ob es tatsächlich zur Auszahlung von Schwarzlohn gekommen ist. Die Ausführung, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die aufgrund von ausgestellten Scheinrechnungen freigewordenen Gelder für etwas anderes als die Bezahlung von Schwarzarbeitern genutzt worden seien, ist insbesondere deshalb lückenhaft, weil sie übersieht, dass ein solches Vorgehen auch andere Zwecke verfolgt haben könnte, wie etwa die Manipulation der Bilanz.
Rz. 1344.2
Die für Urteile geltenden Darstellungsmaßstäbe können – so der BGH – auf Anklageschriften nicht übertragen werden. Im Anklagesatz (§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO) seien nur das relevante Verhalten und der Taterfolg i.S.v. § 370 AO anzuführen, einer Berechnungsdarstellung der Steuerverkürzung bedürfe es nicht. Eine Anklage wegen illegaler Beschäftigung in einer Vielzahl von Fällen sei auch dann wirksam, wenn sie auf einer unstatthaften Schätzung der Höhe der Lohnsteuer und der Sozialversicherungsbeiträge beruhe. Insofern gelte etwas anderes als für die Berechnungsdarstellung im Urteil. Im Rahmen der Anklage betreffe diese nur die Informations-, nicht aber die Umgrenzungsfunktion (vgl. § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO). Fehler könnten in der Hauptverhandlung durch rechtlichen Hinweis (§ 265 StPO) geheilt werden. Der BGH widerspricht damit ausdrücklich der Entscheidung des OLG Celle vom 19.7.2011, das in diesem Fall – m.E. mit überzeugenden Gründen – eine Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts für gerechtfertigt gehalten hatte.
Das wesentliche Ermittlungsergebnis in der Anklageschrift (§ 200 Abs. 2 Satz 1 StPO) muss jedenfalls – das hat auch der BGH betont – eine nachvollziehbare Darstellung der für die Berechnung der Abgabenverkürzung erforderlichen Tatsachenfeststellungen und Steuerberechnungen und Schätzungen anführen.
Rz. 1345
Aufzeichnungen für die Pauschalierung der Lohnsteuer (§ 40a EStG, § 4 Nr. 8 Satz 4 LStDV) sind nicht materiell-rechtliche Voraussetzung. Der Arbeitgeber kann sich aller zulässigen Beweismittel bedienen, wobei verbleibende Unklarheiten zu seinen Lasten gehen. Im Strafverfahren muss dem Steuerpflichtigen nachgewiesen werden, dass die Voraussetzung für eine Pauschalbesteuerung nicht vorgelegen haben. Insoweit gilt der In-dubio-pro-reo-Grundsatz.
b) Strafverfahren bei verspäteter Abgabe von Lohnsteueranmeldungen
Rz. 1346
Im Zuge der Verschärfungen zur Selbstanzeige durch das SchwarzGBekG vom 28.4.2011 (s. dazu § 371 Rz. 14 ff.) war es auch zu Anpassungen der Nr. 132 AStBV (St) 2012 und damit zu einer unverschuldeten Kriminalisierung der Stpfl. bei Steueranmeldungen gekommen. Während die frühere Version der genannten Anweisung ausdrücklich auf die automatische Einschaltung der Straf- und Bußgeldstelle verzichtete, sofern Steueranmeldungen im FA nicht rechtzeitig eingingen, wurde der betreffende in Nr. 132 Abs. 1 Satz 3 AStBV (St) 2011 noch enthaltene Satz: "von der Vorlage verspäteter Steueranmeldungen kann ebenfalls abgesehen werden" für das Jahr 2012 ersatzlos gestrichen. Bei wortgetreuer Anwendung war danach jede verspätete oder berichtigte Umsatzsteuervoranmeldung oder Lohnsteueranmeldung unverzüglich an die BuStra weiterzuleiten und ein Strafverfahren einzuleiten. In der vorhergehenden Praxis war davon bei kleineren Betrieben meistens abgesehen worden, weil die Verspätung oftmals auf einer Erkrankung oder fehlenden Unterlagen oder schlichtweg Vergessen beruhte und daher nicht zwangsläufig auf eine Absicht zur Hinterziehung von Steuern hindeutete.
Rz. 1346.1
Nach heftiger Kritik wurde diese Regelung durch die AStBV 2013 zum 30.10.2012 erneut geändert und damit im Wesentli...