Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 84
Sowohl die täterschaftliche Begehung einer Straftat als auch die Teilnahme können nicht nur durch aktive Handlungen, sondern auch durch ein Unterlassen verwirklicht werden. Selbstverständlich ist das für die Tatbestände, die bereits vom Wortlaut ausdrücklich an ein Unterlassen anknüpfen und deshalb als echte Unterlassungsdelikte bezeichnet werden. Im Steuerstrafrecht sind das § 370 Abs. 1 Nr. 2, 3 AO .
Rz. 85
Aber auch für andere Straftatbestände, bei denen der Wortlaut das Unterlassen als Tathandlung nicht ausdrücklich erfasst, folgt dieses Ergebnis aus § 13 StGB. Danach ist wegen eines unechten Unterlassungsdelikts strafbar, wer es unterlässt, den tatbestandlichen Erfolg eines Strafgesetzes abzuwenden. Das gilt aber nur dann, wenn der Täter rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt, und zudem das Unterlassen der Verwirklichung des Unrechts durch ein Tun entspricht. Erfolg i.S.d. § 13 StGB ist bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO die Steuerverkürzung bzw. der ungerechtfertigt erlangte Steuervorteil. Deshalb ist konstruktiv auch eine Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 13 StGB denkbar, wenn bspw. ein dazu nach § 13 StGB Verpflichteter die Berichtigung bereits gemachter falscher Angaben unterlässt und es im Anschluss zur unrichtigen Steuerfestsetzung kommt.
Die Strafbarkeit wegen eines unechten Unterlassungsdelikts setzt vor allem voraus, dass der Täter eine Rechtspflicht zur Erfolgsabwendung hat. Insofern besteht im Ausgangspunkt Übereinstimmung mit der nach § 370 Abs. 1 Nr. 2, 3 AO vorausgesetzten Pflicht, die FinB über steuerlich erhebliche Tatsachen zu informieren oder Steuerzeichen bzw. Steuerstempler zu verwenden. Nach dem Wortlaut des § 13 StGB muss der Täter zudem die Erfolgsabwendung unterlassen; daraus folgt, dass er überhaupt in der Lage sein muss, den Erfolgseintritt zu verhindern (s. Rz. 83).
Rz. 86
Aus dem gerade Gesagten ergibt sich, dass auch eine Beihilfe durch Unterlassen möglich ist. Dem Gehilfen muss als Gegenstück zur Hilfeleistung die Pflicht nach § 13 StGB obliegen, die Begehung der Tat durch den Täter zu "erschweren". Ist der dazu Verpflichtete jedoch verpflichtet und faktisch in der Lage, den Erfolg gänzlich abzuwenden, ist er als Unterlassungstäter anzusehen (s. Rz. 101 f.). Streitig ist hingegen, ob eine Anstiftung durch Unterlassen denkbar ist. Ausnahmsweise wird man das anerkennen können, etwa dann, wenn jemand zunächst unvorsätzlich das Risiko setzt, dass ein anderer eine Straftat begeht, und dieses Risiko später entgegen § 13 StGB nicht beseitigt.