Rz. 94

[Autor/Stand] Da § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO Allgemeindelikt ist, Abs. 1 Nr. 2, 3 dagegen Sonderdelikte sind, werden die Fälle als problematisch angesehen, in denen der steuerlich zur Erklärung Verpflichtete von einem Dritten durch eine den Tatbestandsvorsatz ausschließende Täuschung an der Abgabe einer wahrheitsgemäßen Steuererklärung gehindert wird[2]. Der Getäuschte erfüllt dann zwar den objektiven Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, wegen seines Irrtums (§ 16 StGB) aber nicht den subjektiven Tatbestand und ist somit straflos.

Derjenige, der den Irrtum hervorruft und deshalb das Geschehen zum Erfolg beherrscht, ist aber seinerseits nach § 370 Abs. 1 Nr. 1, 2 AO nicht strafbar, da weder er selbst noch der Stpfl. Angaben macht und er jedenfalls steuerrechtlich nicht verpflichtet ist, den FinB seinerseits Angaben über fremde steuerliche Angelegenheiten zu machen. Die Straffreiheit des das Geschehen lenkenden Hintermanns würde im Widerspruch zu den Fällen stehen, in denen er den Stpfl. durch eine Täuschung dazu bringt, unvorsätzlich unrichtige Angaben zu machen. Denn dann sind dem Täuschenden die falschen Angaben des von ihm eingesetzten Werkzeugs nach § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB zuzurechnen und er ist als mittelbarer Täter verantwortlich (s. Rz. 110 ff.).

Das Ergebnis wird noch unstimmiger, wenn bei Einsatz von Zwang zur Abgabe falscher Angaben wiederum mittelbare Täterschaft des Hintermanns zu bejahen wäre, für das erzwungene Unterlassen, die notwendigen steuerlichen Erklärungen abzugeben, aber "nur" Anstiftung zur vorsätzlichen Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO oder gar Straffreiheit, wenn das Opfer aufgrund absolut wirkenden Zwangs gänzlich außerstande gesetzt wird, seinen Erklärungspflichten zu genügen.

Das dürften allerdings eher außergewöhnliche Fallgestaltungen ohne größere praktische Bedeutung sein (s. aber Rz. 329 zu unrichtigen Zollinhaltserklärungen). In diesen Fällen kann man daran denken, dass sowohl durch den Zwang als auch die Täuschung eine (spezifisch strafrechtliche) Garantenstellung i.S.d. § 13 StGB entsteht, so dass der Hintermann selbst verpflichtet wäre, die steuerlich erforderlichen Angaben zu machen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 13 StGB)[3].

[Autor/Stand] Autor: Ransiek, Stand: 01.05.2022
[2] Ausf. hierzu Joecks in JJR8, § 370 AO Rz. 157, 162; s. auch BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, NJW 2013, 2449 (2452) Rz. 65 = EWiR 2013, 537 (Brammsen) = ZWH 2013, 405 m. Anm. Ceffinato = wistra 2013, 314 = wistra 2014, 100.
[3] A.A. Joecks in JJR8, § 370 AO Rz. 163: Eine Lösung dieses Problems sei auf der Grundlage des Gesetzes nicht möglich.

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