Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 400
Bei den Veranlagungssteuern hängt die Erhebung der geschuldeten Steuer von der vorherigen Festsetzung durch die FinB in einem Steuerbescheid ab, § 155 Abs. 1, § 157 Abs. 1 AO. Nach § 155 Abs. 1 Satz 1 AO ist das der gesetzliche Regelfall. Zu den Veranlagungssteuern zählen bspw. die Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer sowie die Einfuhrabgaben. Wird der Steueranspruch nicht in voller Höhe, also zu niedrig, festgesetzt, tritt der Erfolg der Steuerverkürzung nicht erst mit der Fälligkeit des Anspruchs, sondern bereits mit der Festsetzung des Steuerbetrags ein, d.h. mit deren Wirksamwerden durch die Bekanntgabe des Steuerbescheids (§ 155 Abs. 1, § 122 Abs. 1, § 124 AO). Verstößt eine Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten gegen zwingende Zustellungsvorschriften, ist das Dokument nach § 189 ZPO in dem Zeitpunkt zugegangen, in dem der Empfänger das Schriftstück in die Hand bekommt. Zweifelhaft ist, ob nach Art. 104 Abs. 1 UZK die Festsetzung der Einfuhrabgaben nach Art. 5 Nr. 20 UZK nunmehr bereits oder erst durch ihre buchmäßige Erfassung und nicht durch die Bekanntgabe des Bescheids erfolgt, so dass die Vollendung der Tat bei nicht rechtzeitiger oder zu niedriger Erfassung vorläge. Dagegen spricht, dass es sich bei der Erfassung um einen verwaltungsinternen Vorgang ohne Außenwirkung handelt. Nach Art. 102 Abs. 1 UZK ist eine Mitteilung an den Zollschuldner erforderlich, die sich nach den Vorschriften der AO bzw. nach § 29b ZollV richtet.
Rz. 401
Tatbestandsmäßig sind nach § 370 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 AO auch die unrichtige vorläufige Steuerfestsetzung (§ 165 AO) und die Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO). Unter Letzteres fallen Vorauszahlungsbescheide (§ 37 EStG, § 19 GewStG, § 49 KStG). Setzt das FA aufgrund unrichtiger Anpassungsanträge die Vorauszahlungen herab, so ist die Verkürzung sowohl für ggf. rückwirkend herabgesetzte Vorauszahlungen als auch für die in der Zukunft fälligen Vorauszahlungen mit Bekanntgabe des Vorauszahlungsbescheids vollendet.
Beispiel 47
Der Stpfl. S beantragte beim FA für das Jahr 1979 die Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlung auf null mit der – zutreffenden – Begründung, er habe 1979 ein Berlin-Darlehen über 100.000 DM begeben und hieraus eine die Vorauszahlung deutlich übersteigende Steuerersparnis i.H.v. 20.000 DM erlangt. Er verschwieg aber, dass sich sein Einkommen im laufenden Jahr deutlich erhöht hatte. Die Einkommensteuervorauszahlung wurde daraufhin antragsgemäß auf null festgesetzt.
Wegen der Erhöhung des Einkommens kam eine Herabsetzung der Steuervorauszahlung (vgl. § 37 Abs. 3 Satz 3 EStG) nicht in Betracht. Dadurch – so das OLG Stuttgart – habe S sich einen ungerechtfertigten Steuervorteil verschafft. Die später abgegebene richtige und vollständige Einkommensteuerjahreserklärung könne aber als strafbefreiende Selbstanzeige gewertet werden, auch wenn nicht eigens darauf hingewiesen werde, dass im Zusammenhang mit der fällig gewesenen Vorauszahlung ein ungerechtfertigter Steuervorteil erlangt wurde. Überzeugender als die Annahme des Taterfolgs in Form eines ungerechtfertigten Steuervorteils ist demgegenüber die Bejahung des Verkürzungserfolgs; im Ergebnis ändert sich dadurch aber nichts.
Rz. 402
Der BFH sieht den objektiven Tatbestand des § 370 AO zutreffend bereits dann als erfüllt an, wenn der Stpfl. durch unrichtige Angaben in der Jahressteuererklärung bewirkt, dass neben der Einkommensteuer für den vergangenen Veranlagungszeitraum ("automatisch") auch die Einkommensteuervorauszahlungen für den nachfolgenden Veranlagungszeitraum (§ 37 Abs. 3 Satz 2 EStG) von der FinB nicht in voller Höhe festgesetzt werden. Ändert sich die Sachlage nachträglich, so dass nunmehr höhere Einkommensteuervorauszahlungen gerechtfertigt wären, besteht aber keine Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO, da ursprünglich keine unrichtigen Angaben gemacht wurden (s. Rz. 336). Zur Problematik der Steuerverkürzung auf Zeit s. Rz. 493 ff.
Rz. 403
Für die Vollendung kommt es nicht auf die Unterzeichnung der Steuerfestsetzung an, auch die Rechtskraft der Steuerfestsetzung ist ohne Bedeutung. Es kann also nicht erfolgreich vorgebracht werden, die FinB könne die aufgrund unrichtiger Angaben erfolgte zu niedrige Festsetzung nach § 173 AO ändern. Ebenso wenig kann durch die nachträgliche Schadensbeseitigung der bereits eingetretene Verkürzungserfolg rückwirkend entfallen (s. Rz. 391). Der Stpfl. kann sich ebenso wenig nachträglich auf bisher nicht geltend gemachte Steuerermäßigungsgründe berufen, § 370 Abs. 4 Satz 3 AO (s. dazu Rz. 506 ff.).
Rz. 404
Hat der Stpfl. in seiner Einkommensteuererklärung Kapitaleinkünfte verschwiegen, ist aber bei der Gutschrift der Kapitalerträge (nach früherem Recht) so viel Abzugsteuer einbehalten worden, dass diese die Steuer abdeckt, ist entgegen der Auffassung des FG München kein Verkürzungserfolg eingetret...