Rz. 215

[Autor/Stand] Eine Falschangabe über Tatsachen kann nicht nur ausdrücklich, sondern auch durch schlüssiges Verhalten (konkludent) gemacht werden[2]. Aus dem Wortlaut des § 370 AO folgt keine Beschränkung auf ausdrückliche Erklärungen[3]. Für die Einbeziehung konkludent geäußerter Inhalte spricht bei § 370 Abs. 1 AO vielmehr die 2. Tatalternative der Nr. 1 selbst. Die Behörde, die eine Erklärung über steuerlich erhebliche Tatsachen erhält, soll darauf vertrauen können, dass sie vollständig ist. Deshalb ist die Abgabe unvollständiger Erklärungen strafbewehrt, auch wenn die Vollständigkeit der Angaben nicht ausdrücklich versichert wird (vgl. aber § 150 Abs. 2 AO)[4]. Die Gegenansicht, die § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ausschließlich auf wörtliche, ausdrückliche (mündliche oder schriftliche) Erklärungen[5] bzw. auf Erklärungsinhalte, zu denen der Betroffene nicht verpflichtet ist[6], begrenzen will und Zweifelsfälle § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zuweist, steht mit dem Wortlaut der Norm nicht in Einklang. Insbesondere kann man § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht überzeugend nur als Gebot begreifen, unrichtige Angaben zu unterlassen (s. Rz. 204)[7].

 

Rz. 216

[Autor/Stand] Eine unrichtige Angabe durch schlüssiges Verhalten ist dann anzunehmen, wenn das Verhalten des Täters nach der Verkehrsanschauung als stillschweigende Behauptung von nicht ausdrücklich geäußerten Tatsachen verstanden wird und eine entsprechende Erwartung rechtlich auch geschützt ist[9]. Das ist dann der Fall, wenn das ausdrücklich Erklärte ohne die gleichzeitige Annahme eines konkludent miterklärten Inhalts sinnlos wäre[10]. Derjenige etwa, der in einem Restaurant Essen bestellt, erklärt notwendig schlüssig mit, sowohl zahlungsfähig als auch zahlungswillig zu sein. Prognosen beinhalten deshalb i.d.R. die konkludente Aussage, dass sie auf einer realistischen Tatsachenbasis unter der Anwendung anerkannter Prognosemethoden getroffen worden sind[11]. Die Annahme, etwas sei schlüssig miterklärt, setzt aber voraus, dass überhaupt eine Erklärung vorliegt, die dann weitergehend als ihr ausdrücklicher, wörtlicher Inhalt verstanden wird.

 

Beispiel

Der Stpfl. legt von ihm selbst hergestellte, gefälschte Rechnungen i.S.d. § 14 UStG vor, um Vorsteuerbeträge nach § 15 UStG abziehen zu können.

Durch die Vorlage der Rechnungen zur Geltendmachung der Vorsteuer wird ausdrücklich behauptet, dass entsprechende Lieferungen oder Leistungen von einem anderen Unternehmer für das Unternehmen des Stpfl. ausgeführt wurden (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 UStG)[12]. Es wird durch die Vorlage konkludent miterklärt, dass es sich um echte, von einem anderen ausgestellte Rechnungen (und nicht um Fälschungen) handelt; ansonsten wäre das ausdrücklich Erklärte sinnlos. Die Echtheit der Urkunde muss deshalb nicht ausdrücklich versichert werden.

 

Rz. 217

[Autor/Stand] Wer ein Recht oder einen Anspruch geltend macht, behauptet aber nicht konkludent, dass ein solches Recht oder ein Anspruch wirklich besteht und zu Recht geltend gemacht wird[14] (zur Inanspruchnahme eines zu Unrecht festgestellten Verlustvortrags s. Rz. 335)[15]. Mit dem Geltendmachen eines Anspruchs kann jedoch das Vorliegen des den Anspruch begründenden Sachverhalts behauptet werden[16]. Bei Cum-ex-Geschäften wurde bspw. nicht behauptet, dass ein Anspruch auf Erstattung oder Anrechnung von Kapitalertragsteuer bestand, sondern dass ein (zur Erstattung berechtigender) Einbehalt auf die erhaltenen Dividenden- oder Dividendenersatzzahlungen erfolgt sei[17]. Ebenso wenig liegt in der Entgegennahme einer Leistung die Behauptung, sie sei geschuldet[18]. Es ist vielmehr Sache des Erklärungsempfängers, zu prüfen, ob der Anspruch (rechtlich) besteht oder nicht. Niemand kann darauf vertrauen, dass derjenige, der eine Leistung einfordert, die Interessen des anderen mitvertritt und nur berechtigte Ansprüche stellt. Das muss insbesondere gelten, wenn zweifelhaft ist, ob ein Anspruch besteht oder nicht.

 

Beispiel

Der Stpfl. macht Vorsteuer nach § 15 UStG geltend, obwohl die zum Vorsteuerabzug berechtigenden Rechnungen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG) nicht in seinem Besitz sind.

Durch das bloße Geltendmachen von Vorsteuer wird nicht die konkludente Behauptung aufgestellt, eine entsprechende Anmeldung erfolge zu Recht. Erklärt wird aber, dass die tatsächlichen Voraussetzungen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, gegeben sind (s. Rz. 242). Zweifelhaft ist es gleichwohl, ob dazu auch die Erklärung gehört, man sei im Besitz der zum Vorsteuerabzug erforderlichen ordnungsgemäßen Rechnung nach § 15 Abs. 1 Nr. 1, §§ 14, 14a UStG. Denn es ist Sache der FinB, die für den Vorsteuerabzug notwendigen Belege einzufordern, nicht die Aufgabe des Stpfl., selbst einzuräumen, dass sie fehlen. Die vorgesehene Informationsverteilung zwischen Behörde und Stpfl. spricht also gegen das Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Handlung. Die FinB kann und soll nicht einfach darauf vertrauen können, dass die materiell für den Vorsteuerabzug notwendigen Rechnungen vorhanden sind, sondern hat dies zu prüfen...

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