Ingo Heuel, Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 630
Hat der Täter durch sein Verhalten eine der Tatbestandsalternativen des § 370 Abs. 1 AO vorsätzlich erfüllt, hängt seine Strafbarkeit davon ab, dass die Tat auch rechtswidrig ist. Das ist dann zu verneinen, wenn ein besonderer Rechtfertigungsgrund zugunsten des Täters eingreift, der ausnahmsweise die Verwirklichung des tatbestandlichen Unrechts zu einem dennoch erlaubten Verhalten macht.
Rz. 631
Die Rechtfertigungsgründe des StGB und sonstige Erlaubnistatbestände spielen im Steuerstrafrecht keine Rolle. So ist ausgeschlossen, dass sich der Täter des § 370 Abs. 1 AO zur Rechtfertigung seines Verhaltens auf Notwehr nach § 32 StGB berufen könnte. Denn das würde voraussetzen, dass falsche Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen zur Verteidigung gegen einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff des Staates gemacht würden und dazu erforderlich wären.
Rz. 632
Nichts anderes gilt für den rechtfertigenden Notstand. Eine Rechtfertigung nach § 34 StGB setzt voraus, dass in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für ein Rechtsgut eine Tat begangen wird, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden. Erlaubt ist die Tat aber nur dann, wenn das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt und zudem die Tat auch ein angemessenes Mittel ist, um die Gefahr abzuwenden. Macht bspw. ein Stpfl. geltend, unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht zu haben, um seinen Betrieb zu retten, so scheitert eine Rechtfertigung jedenfalls an der fehlenden Angemessenheit, da die Rechtsordnung für solche Konstellationen Regelungen bereithält (Erlass nach § 227 AO, Stundung nach § 222 AO). Gleiches gilt für die Rechtfertigung einer Beihilfe nach § 27 StGB, § 370 AO.
Beispiel
A ist als ausgebildeter Goldschmied Angestellter bei einem Juwelier. Der Juwelier verlangt von A, dass dieser ihm bei seinen Steuerhinterziehungen behilflich ist. Allein dadurch kann A seine Berufsexistenz erhalten. Das berechtigt ihn jedoch nicht, straffällig zu werden, auch nicht in Ausnahmefällen. A kann sich ebenfalls nicht erfolgreich auf einen entschuldigenden Notstand nach § 35 StGB berufen, da er (oder ein anderer) sich nicht in einer Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit befindet.
Rz. 633
Auch eine Rechtfertigung nach § 64 Satz 1 GmbHG kommt nicht in Betracht. Danach darf der Geschäftsführer nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit einer GmbH oder nach Feststellung ihrer Überschuldung keine Zahlungen leisten. Unabhängig davon, ob man für Steueransprüche eine Ausnahme von diesem Zahlungsverbot anerkennt, bedeutet das aber nicht, dass falsche Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht oder diese gänzlich unterlassen werden dürften. Zur Problematik, dass der Täter durch Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten von ihm zuvor begangene Straftaten offenbaren und sich damit selbst belasten müsste, s. Rz. 304 ff.
Rz. 634
Eine rechtfertigende Einwilligung in eine Steuerverkürzung scheidet ebenfalls aus. Eine solche Einwilligung der FinB wäre ohnehin unwirksam, wenn sie durch falsche oder unvollständige bzw. pflichtwidrig nicht offenbarte Angaben erschlichen worden wäre. Wird sie dagegen nicht mit falschen oder pflichtwidrig nicht offenbarten Angaben erschlichen, fehlt es schon an der Tathandlung des § 370 Abs. 1 AO. Eine behördliche Erlaubnis bezieht sich hingegen nicht auf das Begehen einer Straftat nach § 370 AO, sondern auf die Steuerrechtslage, so dass ggf. schon der Tatbestand zu verneinen ist.
Beispiele
- Kaufmann A ist geschäftlich völlig überlastet. Er kann daher zum vorgesehenen Termin seine Einkommensteuererklärung nicht abgeben. Er beantragt bei der FinB Fristverlängerung für die Abgabe der Steuererklärung. Diese wird ihm gewährt. Die Fristverlängerung bewirkt, dass die Einkommensteuer nicht verspätet i.S.d. 370 Abs. 4 Satz 1 AO festgesetzt wird. Es fehlt zudem an einer Tathandlung i.S.d. § 370 Abs. 1 AO, da die Angaben nicht verspätet gemacht werden, wenn die Frist verlängert wurde. Auf einen evtl. Rechtfertigungsgrund kommt es also nicht an. Wird die Fristverlängerung hingegen durch eine Täuschung erlangt, wird zu Unrecht ein Steuervorteil erlangt (s. Rz. 436).
Der BGH hat eine rechtfertigende Erlaubnis bei einer Schmuggelfahrt, die nach Ansicht des Angeklagten (eines V-Mannes) "unter den Augen der Zollbehörden" mit Billigung aller national und international zuständigen staatlichen Behörden stattfand, nicht ausgeschlossen: "Da das Landgericht auf die Sicht des Angeklagten von einer ‚korrekten Abwicklung des Fahndungsunternehmens‘ abgestellt hat, hat es die Einlassung des Angeklagten M ersichtlich dahin verstanden, er habe nicht nur an eine umfassende Information der Zollbehörden in den Empfängerländern Spanien und Italien geglaubt, sondern auch an eine Billigung seiner Schmuggelfahrten durch die hierfür zuständigen staatlichen Behörden. Ob eine solche behördliche Erlaubnis, wenn sie denn vorgelegen hätte, an...