Rz. 510
Nach dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c AO gilt die Beschränkung der Sperrwirkung nur für den "sachlichen und zeitlichen Umfang der Außenprüfung". Nach bislang h.M. ist auch in anderen Fällen steuerlicher Prüfungen eine entsprechende Begrenzung der Sperrwirkung anzunehmen. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber in diesen Fällen (z.B. betriebsnahe Veranlagung) eine weitergehende Sperrwirkung wollte. Vielmehr handelt es sich wohl nur um eine sprachliche Ungenauigkeit, möglicherweise geschuldet dem Umstand, dass auch in § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AO die Beschränkung auf den sachlichen und zeitlichen Umfang eingeführt wurde und insofern ein Gleichlauf mit Nr. 1 Buchst. c bezweckt war, wobei aber übersehen wurde, dass Nr. 1 Buchst. c ("steuerliche Prüfung") nicht nur Fälle von Außenprüfungen nach §§ 193 ff. AO erfasst. Die Finanzverwaltung geht hingegen davon aus, dass das Tatbestandsmerkmal "zur steuerlichen Prüfung" aufgrund der zum 1.1.2015 eingefügten Formulierung "auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der Außenprüfung beschränkt" eng auszulegen ist, so dass mit der steuerlichen Prüfung nur noch die Außenprüfung i.S.d. §§ 194 ff. AO gemeint sei.
Rz. 511
Nach der Außenprüfung ist die betriebsnahe Veranlagung der wichtigste Fall einer steuerlichen Prüfung i.S.d. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c AO. Die Finanzverwaltung vertritt neuerdings hingegen die Ansicht, dass die betriebsnahe Veranlagung keine Sperrwirkung mehr auslöse. Die betriebsnahe Veranlagung ist von der Außenprüfung strikt zu unterscheiden. Der Unterschied liegt vor allem in der Intensität und dem Umfang der Ermittlungen. Sie ist ein "normales Ermittlungsverfahren" zur Vorbereitung der Steuerfestsetzung. Dieses richtet sich nach den §§ 93 ff. AO und dient der punktuellen Sachaufklärung an Ort und Stelle zur Erleichterung und Beschleunigung der Veranlagung. Derartige Einzelermittlungen bedürfen keiner schriftlichen Anordnung. Demgegenüber umfasst die Außenprüfung alle unter einer Prüfungsanordnung durchgeführten Ermittlungen, aber auch solche Ermittlungen, die auf eine umfassende Prüfung der Besteuerungsgrundlagen gerichtet sind.
Rz. 512
Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass die betriebsnahe Veranlagung begrenzte Sperrwirkung nur hinsichtlich der Steuern und Veranlagungszeiträume entfaltet, auf die sich die Ermittlungen beziehen. Joecks spricht demgegenüber einer betriebsnahen Veranlagung generell die Sperrwirkung ab; ggf. könne die Sperre nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b oder Nr. 2 AO eingreifen.
Beispiel 65
Das LG hatte der Selbstanzeige der Angeklagten vom 17.5.1984 für die Jahre 1981–1983 keine strafbefreiende Wirkung zuerkannt, weil der Finanzbeamte zur Durchführung einer betriebsnahen Veranlagung der Jahre 1981–1983 bereits am 17.1.1984 erschienen war. Eine Prüfungsanordnung (§ 196 AO) hatte nicht vorgelegen. Beide Angeklagten gaben auf Befragung des Beamten zu, mit Verrechnungsschecks Ausgleichszahlungen für Heizöl erhalten zu haben. Sie räumten auch ein, dass die Gutschriften auf ein bestimmtes Konto überwiesen worden seien. Der Beamte verlangte daraufhin sämtliche Kontoauszüge für dieses Konto seit dem Jahr 1980. Die Angeklagten vertrösteten ihn immer wieder bis zur Abgabe der Selbstanzeige am 17.5.1984. In dieser waren Einkommen- und Umsatzsteuer für die Jahre 1981–1983 richtig erklärt worden.
Nach Ansicht des BayObLG erscheint ein Amtsträger der FinB auch dann zur steuerlichen Prüfung i.S.d. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c AO, wenn er an Ort und Stelle einzelne Maßnahmen zur Aufklärung eines bestimmten Sachverhalts durchführt, insb. gem. § 97 AO Einsicht in Unterlagen über ein Bankkonto nehmen will. Unter den Begriff "steuerliche Prüfung" im Sinne der Vorschrift fielen auch Einzelmaßnahmen nach den §§ 93 ff. AO im Zusammenhang mit einem bestimmten Vorgang im Steuerermittlungsverfahren. Spätestens mit der Aufforderung, die Bankauszüge über das "Schwarzkonto" vorzulegen, sei ein Erscheinen mit Wirkung für den ganzen Sachverhalt, der als Steuerhinterziehung durch Nichterklärung der auf das "Schwarzkonto" verbuchten Beträge in Betracht kam, anzunehmen.
Rz. 513
Auch bei sonstigen Fällen steuerlicher Prüfungen (z.B. Vorfeldermittlungen i.S.d. § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO, Durchführung einer Innenrevision i.S.d. Rz. 470) kommt es immer auf den Umfang des Prüfungsauftrags an, der im Zweifel anhand von Indizien durch Auslegung zu bestimmen ist.
Rz. 514
Bislang war unklar, ob auch die Nachschau (z.B. nach § 27b UStG oder § 42g EStG) den Sperrgrund des Erscheinens zur steuerlichen Prüfung auslöst. Dieser Streit ist durch die seit dem 1.1.2015 geltende Gesetzesfassung obsolet geworden. Die Nachschau ist nun ausdrücklich als eigenständiger Sperrgrund (Buchst. e) in den Katalog des § 371 Abs. 2 Satz 1 AO aufgenommen worden (hierzu Rz. 542).