Rz. 793
Die materiell-rechtlichen Folgen der Selbstanzeige sind in Rz. 52 ff. näher dargestellt. Durch die rechtzeitige Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 und 2 AO und bei fristgerechter Nachentrichtung der Steuer und der Hinterziehungszinsen gem. § 371 Abs. 3 AO erlangt der Täter oder Tatbeteiligte einer Steuerhinterziehung Straffreiheit. Als persönlicher Strafaufhebungsgrund kommt die Selbstanzeige nur demjenigen zugute, der selbst die Berichtigungserklärung abgegeben hat oder für den sie abgegeben wurde.
Zu betonen ist, dass die Selbstanzeige vor Strafe schützt, nicht jedoch vor den Ermittlungen durch die Steuer(fahndungs)behörden (s. Rz. 796 ff.).
I. Steuerstrafverfahren
1. Nichtahndung der Steuerhinterziehung
Rz. 794
Sind die Voraussetzungen des § 371 AO erfüllt, dürfen die von § 370 AO angedrohten Strafen (s. § 370 Rz. 1005 ff.) und strafrechtlichen Nebenfolgen (s. § 370 Rz. 1128 ff.) nicht verhängt werden. Eine unvollständige Selbstanzeige oder eine nur teilweise Nachentrichtung führt dagegen nicht zur Straffreiheit (s. Rz. 201 ff.). Die Umstände, warum die Selbstanzeige unzulänglich ist (liegt z.B. eine "dolose" oder unverschuldet unvollständige Berichtigung vor, s. Rz. 237 ff.) oder die Nachzahlung nicht rechtzeitig erfolgt ist, können dabei strafmildernde Berücksichtigung finden. Nach dem mit der aktuellen Gesetzesfassung verbundenen Alles-oder-nichts-Prinzip ist die zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes vorgeschlagene Lösung einer Verfahrenseinstellung nach § 398 AO oder §§ 153 ff. StPO bei geringfügigen Unterschiedsbeträgen nicht mehr praktikabel. Da die Teilselbstanzeige nicht länger zur teilweisen Straffreiheit führt, ist die gesamte Tat zu ahnden. Eine fehlgeschlagene Selbstanzeige ist jedoch als Strafmilderungsgrund zu berücksichtigen.
Rz. 795
Im Hinblick auf tateinheitlich mit der Steuerhinterziehung konkurrierende sonstige Steuerstraftaten (z.B. Begünstigung, Bannbruch, schwerer Schmuggel oder Steuerzeichenfälschung; s. Rz. 65 ff.) und Nichtsteuerdelikte (z.B. Urkundenfälschung, Untreue oder Bankrott) wirkt die Selbstanzeige nicht strafbefreiend. Die Verfolgbarkeit dieser mit der Selbstanzeige offenbarten Taten kann aber nach hier vertretener Auffassung durch § 393 Abs. 2 AO eingeschränkt sein (s. Rz. 71 sowie § 393 Rz. 185). Bei einer Verurteilung wegen dieser Taten darf die Steuerhinterziehung nicht bei der Strafzumessung berücksichtigt und nicht im Tenor erwähnt werden.
2. Verfahrenseinstellung oder Freispruch
Rz. 796
Auf eine Selbstanzeige hin ist die FinB in ihrer Funktion als Strafverfolgungsbehörde (§ 386 AO) nach dem Legalitätsprinzip verpflichtet, den zur Anzeige gebrachten Sachverhalt aufzuklären. Damit führt die Selbstanzeige regelmäßig zur Einleitung des Steuerstrafverfahrens (§ 397 AO) wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung (vgl. grundlegend § 385 Rz. 110). Dabei ist zu prüfen, ob der Verdacht begründet ist und ob eine Bestrafung in Betracht kommt. Entsprechendes gilt für ein staatsanwaltschaftlich geführtes Ermittlungsverfahren und auch für die vom Gericht zu treffenden Feststellungen.
Sind die (positiven und negativen) Voraussetzungen des § 371 Abs. 1–3 AO und damit eine wirksame Selbstanzeige festgestellt, so ist
- ein etwa von der FinB bzw. StA (§§ 386, 399 AO) eingeleitetes Ermittlungsverfahren gem. § 385 AO, § 170 Abs. 2 StPO einzustellen,
- im Zwischenverfahren die Eröffnung des Hauptverfahrens gem. § 204 StPO abzulehnen und,
- wenn sich die strafbefreiende Wirkung der Erklärung erst in der Hauptverhandlung herausstellt, ist durch Urteil auf Freispruch zu erkennen.
Rz. 797
Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist von vornherein ausgeschlossen, wenn ein Prozesshindernis (z.B. Verjährung) besteht oder die Wirksamkeit der Selbstanzeige gem. § 371 Abs. 1–3 AO zweifelsfrei feststeht und die steuerliche Nachzahlung sofort mit Abgabe der Selbstanzeige erfolgt. Nr. 11 Abs. 1 Satz 2 AStBV (St) 2020 (s. AStBV Rz. 11) sieht vor, dass von der Einleitung eines Strafverfahrens abzusehen ist, wenn in der Selbstanzeige die Angaben erkennbar richtig und vollständig gemacht wurden, die nachzuzahlenden Steuern in voller Höhe entrichtet wurden und die nach § 370 Abs. 1 AO verkürzte Steuer oder der für sich oder einen anderen erlangte nicht gerechtfertigte Steuervorteil den in § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO genannten Geldbetrag je Tat nicht übersteigt.