Rz. 52
Nach heute ganz h.M. in Rspr. und Schrifttum ist die Selbstanzeige ihrer Rechtsnatur nach ein persönlicher Strafaufhebungsgrund.
Die vor allem früher vertretene abweichende Ansicht, die in § 371 AO einen Strafausschließungsgrund erblickte, setzt sich über die allgemein vorherrschende Systematik hinweg, dass die Umstände, die bei der Selbstanzeige zur Strafbefreiung führen, erst nach begangener Tat eintreten. Für den Begriff des Strafausschließungsgrundes ist demgegenüber kennzeichnend, dass die strafbefreienden Umstände bereits zur Tatzeit vorliegen mit der Folge, dass ein Strafanspruch überhaupt nicht entsteht.
Aus dieser Einordnung der Selbstanzeige als persönlicher Strafaufhebungsgrund ergeben sich für die Anwendung des § 371 AO folgende Konsequenzen:
1. Persönlicher Strafaufhebungsgrund
Rz. 53
Die strafbefreiende Wirkung des § 371 AO kommt grds. nur dem zugute, der die gesetzlichen Voraussetzungen dieser Bestimmung in seiner Person ("persönlich") erfüllt. Bei jedem Täter oder Teilnehmer sind die Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Selbstanzeige selbständig zu prüfen. Näheres hierzu in Rz. 81 f.
2. Unbeachtlichkeit subjektiver Umstände
Rz. 54
Es kommt ausschließlich auf das objektive Vorliegen der positiven bzw. negativen Voraussetzungen des § 371 AO an. Ein Irrtum des Anzeigenden über einen Tatumstand des § 371 AO (z.B. über das Entdecktsein der Tat) ist unbeachtlich und schließt die Möglichkeit zur strafbefreienden Selbstanzeige nicht aus (s. auch Rz. 630). Ebenso kommt es auf ein Verschulden eines beauftragten Vertreters oder auf das Unvermögen zur fristgerechten Nachzahlung der Steuer nicht an (s. Rz. 403).
3. Analogieverbot
Rz. 55
Aus der Rechtsnatur des § 371 AO als Strafaufhebungsgrund folgt, dass bei Auslegung und Anwendung der Vorschrift das aus Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB abzuleitende strafrechtliche Analogieverbot zu beachten ist. Eine erweiternde Auslegung der negativen Wirksamkeitsvoraussetzungen des Abs. 2 zu Lasten des Täters ist somit unzulässig.
4. In dubio pro reo
Rz. 56
Eine weitere Folge des Umstands, dass durch § 371 AO die Frage der Strafbarkeit unmittelbar berührt wird, ist, dass der Grundsatz "in dubio pro reo"beachtet werden muss, d.h. Zweifel über das Vorliegen einer der in § 371 AO bezeichneten (positiven/negativen) Wirksamkeitsvoraussetzungen wirken sich zugunsten des Täters aus (s. nur Rz. 421, 732).
5. Freispruch
Rz. 57
Werden in der Hauptverhandlung die Voraussetzungen des § 371 AO festgestellt, so ist der Täter freizusprechen. Zu den verfahrensrechtlichen Folgen der Selbstanzeige s. ausführlich Rz. 793 ff.