Rz. 55
Allgemein anerkannt wird, dass die Leichtfertigkeit einen gegenüber der Fahrlässigkeit gesteigerten Grad der Schuld darstellt. Diese Auffassung wird auch durch die Entstehungsgeschichte des AO-Änderungsgesetzes vom 11.5.1956 bestätigt. Nach der Begründung des Gesetzes war die von Rechtswissenschaft und Wirtschaft erhobene Forderung, nicht jede fahrlässige Steuerverkürzung mit Strafe zu bedrohen, für die Änderung der Schuldform von Fahrlässigkeit in Leichtfertigkeit ausschlaggebend. Durch die Erhöhung der Anforderungen an die subjektive Tatseite sollte der Strafrahmen des damaligen § 402 RAO 1956 eingeengt werden.
Unbestritten ist auch, dass Leichtfertigkeit nicht mit bewusster Fahrlässigkeit gleichgesetzt werden kann. Es gibt durchaus auch Fälle unbewusster Fahrlässigkeit, die leichtfertig genannt werden können (zu den Erscheinungsformen der Fahrlässigkeit s. § 377 Rz. 54 ff. Der bei der Schuldform der Leichtfertigkeit geforderte erhöhte bzw. erhebliche Grad an Fahrlässigkeit kann sowohl bei bewusst fahrlässigem wie auch bei unbewusst fahrlässigem Verhalten vorliegen.
Beispiele
Wegen grober Unachtsamkeit unterlaufen dem Stpfl. S Buchungsfehler, die sich im erklärten Gewinn niederschlagen (unbewusste Leichtfertigkeit).
Der Gewerbetreibende G führt trotz Kenntnis der ihm obliegenden Buchführungspflicht keine Bücher, wobei er darauf vertraut, dass er dennoch die Steuern richtig erklären kann (bewusste Leichtfertigkeit).
Im Einzelfall kann sich die Abgrenzung der bewussten Fahrlässigkeit vom bedingten Vorsatz (Eventualvorsatz) als äußerst schwierig erweisen und stellt "eine Grauzone [dar], die im Einzelfall zu erheblicher Rechtsunsicherheit führt". So handelt ein Täter bereits mit Eventualvorsatz, wenn er die Verwirklichung des Straftatbestandes weder anstrebt noch für sicher hält, sondern nur für möglich und für nicht ganz fernliegend, aber gleichwohl handelt. Diese Unterscheidung ist wichtig für die Frage, ob eine Berichtigungserklärung (§ 153 AO), eine bußgeldbefreiende (§ 378 Abs. 3 AO) oder eine strafbefreiende Selbstanzeige (§ 371 AO) abgegeben werden muss. Die Pflicht zur Abgabe einer Berichtigungserklärung nach § 153 AO kann nach Auffassung des BGH auch bei Vorliegen des Eventualvorsatzes bestehen. Auf keinen Fall darf wegen des Grundsatzes in dubio pro reo bei nicht nachweisbarem Vorsatz von Leichtfertigkeit ausgegangen werden. Vielmehr ist die grobe Fahrlässigkeit dann zu prüfen.