Rz. 680
Anders als noch nach früherem Recht (§ 406 Abs. 2 RAO 1956) besteht seit der Neuregelung der Gefährdungstatbestände der §§ 379 ff. AO im Jahre 1968 (s. Rz. 3) bei der Steuergefährdung keine Möglichkeit mehr, durch Selbstanzeige Bußgeldfreiheit zu erlangen.
Rz. 681
Die fehlende Selbstanzeigeregelung in § 379 AO führt zu Ungereimtheiten. Es ist schwer einsehbar, warum eine der Steuerverkürzung regelmäßig vorgelagerte Steuergefährdung mit wesentlich geringerem Unwertgehalt trotz Selbstanzeige des Betroffenen geahndet werden kann, nicht aber die wesentlich schwerwiegendere vollendete oder versuchte Steuerverkürzung, bei der eine Selbstanzeige sanktionsbefreiend wirkt.
Rz. 682
Beispiel 3
S betrieb den Verkauf eines Geschäftshauses. Mit den Käufern vereinbart er einen Kaufpreis von 7 Mio. EUR. Notariell beurkundet wurde nur ein Kaufpreis von 6,4 Mio. EUR. Hinsichtlich des Restbetrages von 600.000 EUR ließ S durch seine Ehefrau, eine Maklerin, eine Scheinrechnung über eine vorgebliche Maklercourtage erstellen. Zu einer unzutreffenden Festsetzung von Grunderwerbsteuer kam es jedoch nicht, da S wegen Zahlungsschwierigkeiten der Käufer vom Kaufvertrag zurücktrat. Wegen (vermeintlicher) versuchter Hinterziehung der Grunderwerbsteuer erstattete S sodann eine Selbstanzeige.
Im darauf folgenden Ordnungswidrigkeitenverfahren setzte das AG gegen S wegen vorsätzlicher Steuergefährdung (§ 379 AO) ein Bußgeld fest.
Eine strafrechtliche Ahndung schied aus, entweder schon deshalb, weil in Wirklichkeit "nur" eine straflose Vorbereitungshandlung vorlag, mindestens aber aufgrund der Selbstanzeige. Fraglich war jedoch, ob sich S mit dem Ausstellen der Scheinrechnung der Steuergefährdung gem. § 379 AO schuldig gemacht hatte oder ob dem ebenfalls die Selbstanzeige entgegenstehen könnte.
Rz. 683
Insoweit stellt sich die Frage, ob das Fehlen einer Wiedergutmachungsvorschrift in Form einer tätigen Reue (oder eines/einer strafbefreienden Rücktritts/Selbstanzeige), wie es sie nicht nur bei Steuerdelikten (§§ 371, 378 Abs. 3 AO), sondern auch im allgemeinen Strafrecht (z.B. §§ 24, 31, 261 Abs. 9, § 264 Abs. 5, § 266a Abs. 5, §§ 306e, 314a, 320, 330b StGB; s. grundlegend § 371 Rz. 27) gibt, mit der Verfassung und insb. dem Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbaren ist. Das BVerfG hat die Frage dahin gehend beantwortet, dass die Entscheidung des Gesetzgebers, in § 379 AO keine derartige Regelung über eine tätige Reue aufzunehmen, von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden ist.
Rz. 684
Das BVerfG führt zur Begründung u.a. aus:
„1. Das Fehlen einer Vorschrift über tätige Reue in § 379 AO ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
Der Gesetzgeber kann ein Verhalten, das er als sanktionswürdig erachtet, durch eine Strafrechts- oder Ordnungswidrigkeitennorm ahnden (vgl. BVerfG v. 22.2.1968 – 2 BvO 2/65, 2 BvO 1/66, BVerfGE 23, 113 [124]; BVerfG v. 17.1.1979 – 1 BvL 25/77, BVerfGE 50, 142 [166]). Dementsprechend ist es ihm auch nicht verwehrt, Straffreiheit für bestimmte Handlungen zu gewähren, einzelne Deliktsgruppen von einer generellen Regelung auszunehmen oder für bestimmte Tatbestände eine Sonderregelung zu treffen. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht zu überprüfen, ob der Gesetzgeber im einzelnen die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat; es hat lediglich darüber zu wachen, dass die Entscheidung in Einklang mit der verfassungsrechtlichen Wertordnung steht und auch den ungeschriebenen Verfassungsgrundsätzen und Grundentscheidungen entspricht (BVerfG v. 27.3.1979 – 2 BvL 7/78, BVerfGE 51, 60 [74]). Das ist hier der Fall, insbesondere liegt eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht vor. Ein solcher käme allenfalls in Betracht (vgl. BVerfG v. 17.1.1979 – 1 BvL 25/77, BVerfGE 50, 142 [166]), wenn ein Täter, der eine Steuerhinterziehung bereits vollendet hat, bei Selbstanzeige von Gesetzes wegen völlig sanktionsfrei bliebe, während derjenige, der bei ansonsten völlig gleichgelagertem Sachverhalt das Vorbereitungsstadium zur Zeit der Selbstanzeige nicht überschritten hat, ein Bußgeld zu gewärtigen hätte. Dem ist jedoch nicht so. Nach der in der Rechtsprechung einhelligen und in der Literatur herrschenden Auffassung (vgl. OLG Celle v. 17.7.1979 – 2 Ss (OWi) 313/78, MDR 1980, S. 77; BayObLG v. 3.3.1980 – RReg 4 St 266/79, NJW 1981, S. 1055 [zu § 380 AO]; Brenner, StW 1981, S. 147 [148 ff.]; Dörn, wistra 1995, S. 7 [9]; Klos, NJW 1996, S. 2336 [2340]; Mösbauer, wistra 1991, S. 41 [46]; Rüping, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO – FGO: Kommentar, 10. Aufl., § 379 AO Rz. 98; Scheurmann-Kettner in: Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl., Rz. 4 vor § 379; Schwarz, AO, 71. Lfg 1995, § 379 Rdn. 22), die auch den angegriffenen Entscheidungen zugrundeliegt, kommt die Bußgeldnorm in beiden Fällen gleichermaßen zur Anwendung. Nach den allgemeinen Regeln der Gesetzeskonkurrenz lebe nämlich der subsidiäre Gefährdungstatbestand wieder auf, wenn...