Rz. 39
Nach § 382 Abs. 1 AO handelt ordnungswidrig, wer die in den § 31 ZollVG, § 30 ZollV näher bezeichneten Zuwiderhandlungen vorsätzlich oder fahrlässig begeht.
Die vorsätzlich begangene Tat (§ 10 OWiG, § 377 Abs. 2 AO) setzt voraus, dass der Täter die zollrechtlichen Pflichten nach Inhalt und Gegenstand kennt und ihnen bewusst zuwiderhandelt oder er das Bestehen einer Vorschrift zwar nicht kennt, aber für möglich hält und bei seinem Handeln billigend in Kauf nimmt, gegen sie zu verstoßen (bedingter Vorsatz). Kennt der Täter z.B. eine Anmelde- oder Gestellungspflicht nicht oder irrt er über ihr Bestehen, so entfällt der Vorsatz (§ 11 Abs. 1 Satz 1 OWiG). Die Pflichtverletzung kann aber als Fahrlässigkeitstat geahndet werden, wenn die Unkenntnis oder der Irrtum – wie regelmäßig – auf Fahrlässigkeit beruht (§ 11 Abs. 1 Satz 2 OWiG; s. dazu auch § 377 Rz. 53).
Bedingt durch die Pflichtenstellung des Warenempfängers im Versandverfahren (Art. 233 ff. UZK; Art. 96 Abs. 2, Art. 163 Abs. 3 ZK) ist die praktisch bedeutsame pflichtwidrige Annahme von Versandgut durch den Empfänger ohne vorschriftsmäßige Gestellung bei der Bestimmungszollstelle nur vorsätzlich begehbar, da der Täter wissen muss, dass die Waren dem unionsrechtlichen Versandverfahren unterliegen (s. Rz. 20).
Rz. 40
Anders als bei den Gefährdungstatbeständen der §§ 379–381 AO, die leichtfertiges Handeln voraussetzen, genügt im Rahmen des § 382 AO bereits einfache Fahrlässigkeit (zum Begriff der Fahrlässigkeit s. § 377 Rz. 54). In der Gesetzesbegründung zur Vorgängervorschrift (§ 408 RAO 1968, s. Rz. 1) heißt es hierzu:
"Eine Beschränkung auf leichtfertiges Verhalten, wie sie in § 407 AO [Anm.: entspricht heute § 381 AO] vorgesehen ist, wäre bei der Gefährdung von Eingangsabgaben kriminalpolitisch verfehlt. Als Täter von Zuwiderhandlungen gegen zollrechtliche Gestellungs- und Anmeldepflichten und gegen Beschränkungen in Zollfreigebieten kann jedermann in Betracht kommen. Aus diesem Grunde sind die Eingangsabgaben stärker gefährdet als die Verbrauchsteuern. Zuwiderhandlungen gegen die Zollgesetze müssen deshalb – wie bisher – bereits bei einfacher Fahrlässigkeit geahndet werden können."
Trotz der Kritik im Schrifttum, auf die diese pauschale Gesetzesbegründung gestoßen war, hatte der Gesetzgeber der AO 1977 in § 382 AO wiederum fahrlässiges Handeln genügen lassen.
Rz. 41
Im Vergleich zur leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) oder auch zur Verbrauchsteuergefährdung (§ 381 AO) ist entgegen der gesetzgeberischen Intention keine besondere Schutzbedürftigkeit der Ein- und Ausfuhrabgaben zu erkennen. Im Gegenteil führt dies zu Ungereimtheiten im Rechtsgüterschutz. So kann die ordnungswidrige Herbeiführung der vollendeten Einfuhrabgabenverkürzung gem. § 378 AO erst bei leichtfertigem Handeln mit Bußgeld geahndet werden. Hingegen ist die bloße abstrakte Gefährdung dieser Abgaben – also eine Handlung, die gegenüber der vollendeten Tat weit weniger vorwerfbar ist – bereits bei leicht fahrlässigem Verhalten mit Bußgeld bedroht.
Darüber hinaus muss auch das kriminalpolitische Bedürfnis für eine solche Regelung bezweifelt werden. So handeln die Personen, die berufsbedingt auf die Beachtung der Zollvorschriften ihr besonderes Augenmerk zu legen haben (z.B. Importeure, Spediteure u.a.), regelmäßig leichtfertig, wenn sie sich nicht über die mit der Ausübung ihres Berufs zusammenhängenden Pflichten erkundigt haben (zum Begriff der Leichtfertigkeit vgl. § 378 Rz. 55 ff.; insbesondere § 378 Rz. 65 ff.). Die Sorgfaltspflichten erhöhen sich insbesondere bei Personen, denen besondere Zollvergünstigungen gewährt werden, z.B. den Inhabern von Zollverkehren. Wer dagegen nur gelegentlich Waren importiert, wird durch die Ausdehnung des subjektiven Tatbestands des § 382 AO auf leicht fahrlässiges Verhalten und das bestehende Ungleichgewicht gegenüber den Tatbeständen der §§ 378, 381 AO unangemessen benachteiligt.
Rz. 42
Die Berücksichtigung eines minderschweren sorgfaltswidrigen Verhaltens ist daher nur möglich im Rahmen der individuellen Vorwerfbarkeit (s. dazu § 377 Rz. 63, 80), d.h. unter Umständen kann dem Täter nach seinen persönlichen Fähigkeiten und dem Maß seines individuellen Könnens kein – oder allenfalls ein sich auf der Sanktionsebene erheblich auswirkender abgemilderter (vgl. § 17 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 377 Abs. 2 AO) – Vorwurf pflichtwidrigen Verhaltens gemacht werden.