Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 1233
In der Verfahrenswirklichkeit – speziell im Bereich der Wirtschafts- und Steuerstrafsachen – hat sich seit Jahren ein Erledigungstyp durchgesetzt, der gekennzeichnet ist durch eine vorherige Verständigung der Prozessbeteiligten über das Ergebnis des Strafverfahrens. Man spricht gemeinhin von Absprachen, umgangssprachlich auch deals genannt. Diese an den Bedürfnissen der Praxis orientierte eigenständige Art der Erledigung ist teils durch die Überlastung der Strafverfolgungsbehörden und der Strafjustiz, teils durch die Verteidigungsstrategie der Anwälte bedingt; hauptursächlich ist die besondere Komplexität von Wirtschaftsstrafprozessen mit oftmals unklarer Rechts- und Beweislage sowie überlanger Verfahrensdauer. Absprachen können bei derartigen Großverfahren zu einer wesentlichen Vereinfachung und Abkürzung sowie zur Vermeidung zeit- oder kostenintensiver Beweisaufnahmen führen. Sie werden daher in der Praxis allgemein zur Verhinderung eines Stillstands der Rechtspflege in diesem Bereich als unabdingbar angesehen.
Rz. 1234
Absprachen werden in jedem Verfahrensstadium getroffen, sei es im Ermittlungs-, Zwischen- oder Hauptverfahren, wobei allgemein der Schwerpunkt auf sowohl innerhalb als auch außerhalb der Hauptverhandlung getroffenen Verständigungen liegt.
Wegen der Eigenheiten des Steuerstrafverfahrens sind Verständigungen der Verfahrensbeteiligten vor allem bereits im Ermittlungsverfahren oder im Strafbefehlsverfahren üblich (s. Rz. 1285 ff., 1303 ff.).
Rz. 1235
Gegen die Zulässigkeit von Absprachen wurden seit jeher vielfältige Argumente angeführt. Es handele sich um einen "Handel mit der Gerechtigkeit", um die Entstehung von Gewohnheitsrecht contra legem – sowohl gegen die StPO als auch gegen das Grundgesetz – sowie um eine Grauzonenpolitik in den Hinterhöfen der Strafjustiz. Sicherlich sind diese Bedenken insoweit zutreffend, als der staatliche Strafanspruch, die Einhaltung fundamentaler Rechtsstaats- und Verfahrensprinzipien, die rechtliche Subsumtion und die Strafbemessung – im Gegensatz zum Zivilprozess oder zum amerikanischen Strafprozess – nicht zur Disposition der Prozessbeteiligten stehen.
Rz. 1236
Gleichwohl wurden nach der Rspr. des BVerfG und des BGH Absprachen im Strafprozess grds. gebilligt, soweit die Verfahrensbeteiligten dabei einen unabdingbaren rechtsstaatlichen Mindeststandard einhielten. Der BGH hat in einer Vielzahl von Judikaten die Voraussetzungen, aber auch die Grenzen dieser Praxis aufgezeigt. In seiner Entscheidung vom 3.3.2005 hatte der Große Strafsenat des BGH die maßgeblichen Grundsätze der bisherigen Rspr. bestätigt und fortentwickelt.