Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 1331
Die Rspr. hierzu – speziell im Steuerstrafrecht – ist wenig stringent. Nur vereinzelte Entscheidungen des BGH enthalten grundlegende Ausführungen zum Tatbegriff im Steuerstrafrecht.
Rz. 1332
So hat der BGH bei der Hinterziehung von Einkommensteuer hinsichtlich eines Veranlagungszeitraums materiell-rechtlich und damit auch prozessual nur eine einheitliche Tat angenommen. Maßgeblich dafür sei die Festsetzung der Jahressteuer aufgrund einer Steuererklärung, in deren Rahmen die verschiedenen Einkunftsarten lediglich Rechnungsposten bildeten. Danach beziehen sich verfahrenseinleitende i.S.v. § 397 AO und verjährungsunterbrechende Maßnahmen wie Durchsuchungsbeschlüsse auf die Steuererklärung insgesamt und nicht auf die (unrichtigen bzw. unterlassenen) Angaben zu den einzelnen Einkunftsarten.
Dieser Entscheidung ist gleichwohl keine grundsätzliche Bedeutung beizumessen, da der BGH im Zusammenhang mit der Selbstanzeige bei dem Tatbegriff nach einzelnen Besteuerungsmerkmalen differenziert hat.
Rz. 1333
Beispiel 6
Das LG hatte A wegen versuchter Einkommensteuerhinterziehung im Rahmen einer Abschreibungsgesellschaft verurteilt. Auf die Revision des A stellte der BGH das Verfahren ein.
Der BGH stellte fest, dass der bereits zuvor erfolgte Freispruch des A vom Vorwurf einer im steuerlichen Rechtsbehelfsverfahren abgegebenen falschen eidesstattlichen Versicherung, mit der er einem der atypisch stillen Gesellschafter der KG wahrheitswidrig den frühzeitigen Beitritt zwecks Erlangung der Verlustzuweisungen bestätigte, die Strafklage wegen der tateinheitlich und mittäterschaftlich begangenen versuchten Steuerhinterziehung verbraucht.
Rz. 1334
Umstritten ist das Verhältnis der monatlichen Lohnsteuerhinterziehungen eines Jahres und der anschließenden Hinterziehung der Einkommensteuer des nämlichen Jahres, s. § 370 Rz. 1343 f.
Ob die Rechtsprechungsänderung des BGH zu den materiell-rechtlichen Konkurrenzen im Bereich der Umsatzsteuerhinterziehung (s. Rz. 1340) auch auf die strukturelle Ähnlichkeiten aufweisende Hinterziehung von Lohnsteuer (durch den Arbeitgeber) und Einkommensteuer (durch den Arbeitnehmer) in Fällen einer Schwarzlohnabrede übertragen werden kann, erscheint fraglich. Die Frage nach dem Vorliegen einer Tat im prozessualen Sinne bleibt hiervon jedenfalls unberührt und bedarf noch höchstrichterlicher Klärung.
Rz. 1335
Bei Beitragshinterziehungen gem. § 266a StGB und Lohnsteuerhinterziehungen im Rahmen eines Gewerbebetriebs handelt es sich um materiell und prozessual selbständige Taten, selbst wenn die Unterlassungen auf einem Gesamtplan beruhen und sich die Verkürzungshandlungen auf dieselben Arbeitnehmer beziehen. Auch wenn ein Betrieb von vornherein darauf angelegt ist, Arbeitnehmer illegal zu beschäftigen, führt dies nicht zur Annahme einer einheitlichen Tat. Diese einschränkende Auslegung des Tatbegriffs hält der BGH auch aus Gerechtigkeitsgründen für geboten, da eine Ausweitung der prozessualen Einheit auf Fälle dieser Art auf eine Begünstigung von Straftätern hinausliefe, die durch Aufbau und Einsatz eines kriminellen Unternehmens bedeutende verbrecherische Energie entfalteten.
Rz. 1335.1
Die Annahme von Tatmehrheit und unterschiedlichen prozessualen Taten bei Schwarzarbeit und Nettolohnbarauszahlungen durch die Rspr. ist zwar nachvollziehbar. Der Schluss, dass dies auch zu einer Ablehnung des Strafklageverbrauchs führt, ist hingegen verfehlt. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist unter Beachtung einer natürlichen Bewertung des Sachverhalts und damit des verfassungsrechtlichen Tatbegriffs nach Art. 103 Abs. 3 GG von einer einheitlichen Tat auszugehen, wenn ein einheitlicher Lebensvorgang anzunehmen sei. Auch nach dem völkerrechtlichen Doppelbestrafungsverbot kommt eine Verfolgung einer Straftat nach § 266a StGB nicht mehr in Frage, wenn ein Verfahren wegen Hinterziehung der Löhne eingestellt worden sei. Sofern ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Steuerhinterziehung und dem Unionsrecht besteht, greift auch das europäische Doppelbestrafungsverbot des Art. 50 Abs. 1 GRC. Der Schluss von Tatmehrheit auf die Ablehnung des Strafklageverbrauchs ist daher zutr. Ansicht nach nicht haltbar.
Rz. 1335.2
Zur Annahme eines (uneigentlichen) Organisationsdelikts bei einem auf Straftaten ausgerichteten Geschäftsbetrieb s. auch Rz. 1329 m.w.N.
Rz. 1336
In Fällen illegaler Arbeitnehmerüberlassung unterbricht der Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses wegen des Verdachts der Umsatzsteuerhinterziehung nicht die Verjährung hinsichtlich einer Lohnsteuerhinterziehung.
Rz. 1337
Die Hinterziehung von Lohn- und Umsatzsteuer stellt keine Tat i.S.v. § 264 StPO dar, da beide Steuerarten an unterschiedliche Sachverhalte anknüpfen (Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und Umsätze und Leistungen eines Unternehmers).
Rz. 1338
Zur Hinterziehung von Um...