Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Ergänzender Hinweis: Nr. 16 AStBV (St) 2020 (s. AStBV Rz. 16).
Schrifttum:
S. zunächst das Schrifttum vor § 393 Rz. 106; ferner: Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998; Joecks, Der nemo-tenetur-Grundsatz und das Steuerstrafrecht, in FS Kohlmann, 2003, S. 451; Matt, Nemo tenetur se ipsum accusare – Europäische Perspektiven, GA 2006, 323; Salditt, Bürger zwischen Steuerrecht und Strafverfolgung, in Mellinghoff (Hrsg.), DStJG 38 – Steuerstrafrecht an der Schnittstelle zum Steuerrecht, 2015, S. 277; Spilker, Abgabenrechtliches Mitwirkungssystem im Spannungsverhältnis mit dem Nemo-tenetur-Grundsatz, DB 2016, 1842; Verrel, Nemo tenetur-Rekonstruktion eines Verfahrensgrundsatzes, NStZ 1997, 361, 415; Verrel, Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001.
Rz. 145
Schweigerecht und Mitwirkungsfreiheit sind einzelne Ausprägungen des allgemeinen und umfassenden Rechts, sich nicht selbst belasten zu müssen. Der Grundsatz des nemo tenetur se ipsum accusare findet seine Grundlage in Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG und in Art. 14 Abs. 3g des UN-Paktes über bürgerliche und politische Rechte von 1966.
Grundlegend hierzu hat das BVerfG im sog. Gemeinschuldner-Beschluss ausgeführt, dass jeder Zwang zur Selbstbelastung einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit und das Persönlichkeitsrecht darstellt und mit der Würde des Menschen unvereinbar ist. Danach kann der Beschuldigte frei darüber entscheiden, ob er als Werkzeug zur Überführung seiner selbst benutzt werden darf. Das BVerfG hatte zwar die außerstrafrechtlichen, auch auf strafbares Verhalten bezogenen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Gemeinschuldners in der Insolvenz unbeanstandet gelassen, jedoch für die selbstbelastenden Angaben – solange ein Verwertungsverbot bzw. ein dieses absicherndes Offenbarungsverbot nicht gesetzlich geregelt war (s. heute aber § 97 InsO) – im Wege der ergänzenden Auslegung ein strafrechtliches Verwertungsverbot in Anlehnung an die entsprechenden Vorschriften der § 136a StPO, § 393 Abs. 2 AO anerkannt. Auf diese bedeutsame Entscheidung des BVerfG muss auch heute immer noch rekurriert werden, wenn es um die Anerkennung von strafprozessualen Verwertungsverboten im Steuerstrafverfahren wegen entsprechender Konfliktsituationen mit steuerlichen Erklärungs- und Mitwirkungspflichten geht und die berechtigte Forderung nach gesetzlichen Verwertungsverboten noch nicht erfüllt ist.
Die neuere Rspr. des BGH versucht insoweit einen Ausgleich zu schaffen, im Falle des Unterlassens durch Suspendierung der Strafbewehrung der steuerlichen Pflichten bzw. bei deliktisch erlangten Einkünften durch Reduzierung der steuerlichen Erklärungspflichten.
Zu näheren Einzelheiten s. § 370 Rz. 304 ff.; § 393 Rz. 16, 39, 55 ff., 106 ff.. Grundsätzlich zu Beweisverboten und zum Problem der Fernwirkung s. Rz. 1045 ff.