a) Kirchensteuer und andere öffentlich-rechtliche Abgaben
Ergänzender Hinweis: Nr. 17 Abs. 1 Nr. 2 AStBV (St) 2020 (s. AStBV Rz. 17)
Rz. 72
Nach § 386 Abs. 2 Nr. 2 AO ist die FinB für die selbständige Ermittlung der Tat auch dann zuständig, wenn diese eine Steuerstraftat darstellt, zugleich aber auch andere Strafgesetze verletzt und deren Verletzung Kirchensteuern oder andere öffentlich-rechtliche Abgaben betrifft, die an Besteuerungsgrundlagen, Steuermessbeträge oder Steuerbeträge anknüpfen. Bei dieser zugleich verwirklichten "allgemeinen" Straftat handelt es sich – str. bei der Kirchensteuer (s. Rz. 78 ff.) – um einen sog. Abgabenbetrug i.S.v. § 263 StGB . Das bedeutet, dass die FinB auch zur Untersuchung der genannten Nicht-Steuerstraftaten befugt ist, wenn diese mit einer Steuerstraftat zu einer Tat im prozessualen Sinne des § 264 StPO verbunden sind.
Rz. 73
Diese Annexkompetenz ist sachgerecht, denn regelmäßig hängen die in § 386 Abs. 2 Nr. 2 AO bezeichneten Taten (sofern sie denn strafbar sind, s. Rz. 78 ff.) eng mit einer Steuerhinterziehung zusammen, die zumeist den Kern des Tatvorwurfs ausmacht. Gegebenenfalls kann die FinB daher bzgl. der Annextaten eine Beschränkung der Strafverfolgung gem. § 154a StPO vornehmen.
b) Kirchensteuer-Verkürzung
Rz. 74
Die Kirchensteuer ist von der Einkommensteuer (Lohnsteuer) insofern abhängig, als sie zumeist als Zuschlag i.H.v. 8 oder 9 v.H. erhoben wird (vgl. etwa § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a KiStG NW). Bei einer Einkommensteuerhinterziehung liegt daher bei Angehörigen einer Religionsgemeinschaft zugleich eine Hinterziehung von Kirchensteuer vor.
Rz. 75
Beispiel
Der der katholischen Kirche angehörende Freiberufler F hat durch die Geltendmachung in Wirklichkeit nicht entstandener Werbungskosten bei der FinB erreicht, dass er zu niedrig veranlagt wurde. Die an die zu niedrig festgesetzte Einkommensteuer anknüpfende Kirchensteuer wurde ebenfalls zu niedrig festgesetzt.
F hat durch eine Handlung, die Abgabe der unrichtigen Steuererklärung bei der FinB, neben der Hinterziehung von Einkommensteuer zugleich auch eine Hinterziehung von Kirchensteuer bewirkt.
Rz. 76
Fraglich ist, wie bzw. ob die Kirchensteuerverkürzung zu ahnden ist und ob die FinB insoweit ermittlungsbefugt ist. Der Anwendungsbereich des § 386 Abs. 2 Nr. 2 AO, der die einheitliche Ermittlungskompetenz der FinB für die Hinterziehung der Einkommen- und Lohnsteuer sowie der damit zusammenhängenden Verkürzung von Kirchensteuer begründet, ist neuerdings zu hinterfragen.
Rz. 77
Sämtliche Bundesländer schließen mittlerweile bei der Kirchensteuer sowohl die materiellen Straf- und Bußgeldregelungen der AO (§§ 369 ff. AO) als auch die Anwendung der §§ 385 ff. AO aus (vgl. die Kirchensteuergesetze der Länder Baden-Württemberg: § 21 Abs. 3 KiStG; Bayern: Art. 18 Abs. 2 KirchStG; Berlin: § 7 Satz 2 KiStG; Brandenburg: § 8 Abs. 6 BbgKiStG; Bremen: § 7 Abs. 2 KiStG; Hamburg: § 8 Abs. 2 Satz 2 HmbKiStG; Hessen: § 15 Abs. 2 KiSteuG; Mecklenburg-Vorpommern: § 21 Satz 2 KiStG M-V; Niedersachsen: § 6 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 KiStRG; Nordrhein-Westfalen: § 8 Abs. 2 KiStG NW; Rheinland-Pfalz: § 11 Abs. 2 Satz 2 KiStG; Saarland: § 11 Abs. 1 Satz 2 KiStG-Saar; Sachsen: § 12 Abs. 1 Satz 2 SächsKiStG; Sachsen-Anhalt: § 7 Abs. 4 Satz 4 KiStG LSA; Schleswig-Holstein: § 10 Abs. 2 KiStG; Thüringen: § 9 Abs. 1 Satz 2 ThürKiStG). Danach stellt die Verkürzung von Kirchensteuer keine Steuerhinterziehung dar.
Rz. 78
Entsprechende Verkürzungen sollen einer Ansicht nach gleichwohl als durch Täuschung über einkommensteuererhebliche Tatsachen bewirkter Betrug gem. § 263 StGB geahndet werden können. Rönnau verweist zur Begründung auf die Vorschriften des § 386 Abs. 2 Nr. 2 AO und Art. 4 Abs. 3 EGStGB. Bei § 386 Abs. 2 Nr. 2 AO sei der Gesetzgeber offensichtlich von einer Ahndbarkeit der Kirchensteuerverkürzung nach allgemeinem Strafrecht ausgegangen, wobei er allerdings einräumt, dass man durchaus die Landeskirchensteuergesetze als "andere Strafgesetze" im Sinne der Vorschrift begreifen könne. Zum anderen sei Art. 4 Abs. 3 EGStGB zu berücksichtigen. Danach bleibe die Vorschrift über den Betrug unberührt, soweit nicht besondere steuerstrafrechtliche landesgesetzliche Regelungen getroffen worden seien, und davon hätten die Länder abgesehen. Der BGH favorisiert eine Lösung über § 154a StPO, da der Kirchensteuerbetrag neben ggf. verkürzter Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag nicht beträchtlich ins Gewicht fällt.
Rz. 79
Diesem Einwand ist entgegenzuhalten, dass nunmehr sämtliche Länder durch die ausdrückliche Suspendierung des AO-Strafrechts eine abschließende Sonderregelung für die Hinterziehung von Kirchensteuer getroffen haben. Damit haben die Landesgesetzgeber nach dem Willen der Kirchen bei der Kirchensteuerverkürzung bewusst auf eine Bestrafung verzichtet. Diese Interpretation ergibt sich auch aus dem besonderen Konku...