Rz. 1
§ 386 AO 1977 stimmt im Wesentlichen mit seinem Vorläufer, dem § 421 RAO i.d.F. des Art. 1 Nr. 1 AO-StrafÄndG vom 10.8.1967, überein. Dessen einzelne Absätze gingen wiederum auf die §§ 421, 422 und 425 RAO 1931 und §§ 386, 387 und 390 RAO 1919 zurück.
Rz. 2
Von einigen redaktionellen Änderungen abgesehen (z.B. "Finanzbehörde" statt "Finanzamt" sowie "Steuerstraftat" anstelle von "Steuervergehen") wurde durch Einführung eines zweiten Satzes in den § 386 Abs. 1 AO 1977 der Begriff der "Finanzbehörde" im Sinne des 8. Teils, 3. Abschnitt der AO legal definiert.
Rz. 3
Ferner wurden in Abs. 2 Nr. 1 die Worte "ausschließlich Steuerstrafgesetze verletzt" durch die Formulierung "ausschließlich eine Steuerstraftat darstellt" ersetzt. Damit sollte klargestellt werden, dass die FinB das Ermittlungsverfahren auch dann selbständig durchführt, wenn die Strafbarkeit einer Tat zwar nicht aus den Steuerstrafgesetzen folgt, die Straftat aber durch § 369 Abs. 1 AO zu einer Steuerstraftat erklärt wird. Dies gilt für die in § 148 StGB geregelte Wertzeichenfälschung, soweit die Tat Steuerzeichen betrifft, sowie für die Begünstigung einer Person, die eine Steuerstraftat begangen hat.
Rz. 4
Die RAO 1919 regelte das Verfahren in Steuer- und Zollstrafsachen in den §§ 385–433 RAO, seit ihrer Neubekanntmachung im Jahr 1931 in den §§ 420–477 RAO. Die danach den FÄ bzw. HZÄ zustehenden Befugnisse waren erheblich weiter als heute. Sie hatten nicht nur staatsanwaltliche Aufgaben (Durchführung von Ermittlungen), sondern in gewissem Umfang auch gerichtliche Aufgaben (Bestrafungsbefugnis) wahrzunehmen. Bereits damals hatten die FÄ bzw. HZÄ den Sachverhalt selbständig zu erforschen, es sei denn, der Beschuldigte war wegen Steuerhinterziehung festgenommen und dem Richter vorgeführt worden (vgl. § 386 Abs. 1 RAO 1919 = § 421 Abs. 1 RAO 1931). Schon damals konnten die FÄ die Sache jederzeit an die StA abgeben (§ 390 RAO 1919 = § 425 RAO 1931). Die heute existierende Möglichkeit, dass umgekehrt die StA die Strafsache jederzeit an sich ziehen kann (vgl. § 386 Abs. 4 Satz 2 AO), bestand damals – abgesehen von den Fällen der Tateinheit von Steuerstraftat und allgemeiner Straftat – nicht. Bei begründetem Tatverdacht konnten die FÄ die Verhandlungen entweder an die StA abgeben (§ 411 Abs. 1 Satz 2 RAO 1919 = § 446 Abs. 1 Satz 2 RAO 1931) oder ihre eigene Strafbefugnis ausüben, indem sie entweder ein Unterwerfungsverfahren durchführten (§ 410 RAO 1919 = § 445 RAO 1931 i.V.m. VO vom 1.11.1921) oder einen Strafbescheid erließen (§ 412 RAO 1919 = § 447 RAO 1931).
Rz. 5
Das BVerfG erklärte mit Urteil vom 6.6.1967 die Kriminalgewalt der FinB im Hinblick auf Art. 92 Halbs. 1 GG für verfassungswidrig und die § 421 Abs. 2, §§ 445 und 447 Abs. 1 AO vom 13.12.1919 i.d.F. der Bekanntmachung vom 22.5.1931 für nichtig.
Rz. 6
Es verblieb die selbständige Ermittlungsbefugnis der FÄ sowie ihr Recht, die Einziehung selbständig zu beantragen. Aus dem Recht, in bestimmten Fällen einen Strafbescheid zu erlassen, wurde die Befugnis, beim Strafrichter den Erlass eines Strafbefehls zu beantragen. Ansonsten sind den FÄ im staatsanwaltschaftlichen und gerichtlichen Verfahren zahlreiche Mitwirkungs- und Mitspracherechte geblieben (vgl. § 437 RAO = § 402 AO 1977, § 438 RAO = § 403 AO, § 440 RAO = § 406 AO, § 441 RAO = § 407 AO sowie die Erläuterungen dieser Vorschriften).
Für die Beibehaltung des insofern bereits vorher bestehenden Rechtszustands waren sachliche Gründe maßgebend. Die Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen und die Steueraufsicht lassen sich von der Ermittlung strafbarer Steuerverkürzungen oder steuergefährdender Handlungen schwer trennen.
Rz. 7
Mit dem JStErgG 1996 wurde § 386 Abs. 1 Satz 2 AO dahin gehend ergänzt, dass auch die Familienkassen strafverfahrensrechtliche Befugnisse i.S.d. §§ 385 ff. AO haben (s. Rz. 31, 34).
Rz. 8
Durch Gesetz vom 22.9.2005 mit Wirkung vom 1.1.2006 wurde das vormals gem. § 386 Abs. 1 Satz 2 AO zuständige "Bundesamt für Finanzen" durch das im Zuge der Neuorganisation der Bundesfinanzverwaltung entstandene "Bundeszentralamt für Steuern" ersetzt (s. Rz. 31, 33).
Rz. 9– 15
Einstweilen frei.