Rz. 396
Entgegen der teilweise zu beobachtenden Praxis hat der Verteidiger gesetzessystematisch grundsätzlich ein umfassendes und sofortiges Akteneinsichtsrecht, das nur ausnahmsweise – im Falle der Gefährdung des Ermittlungszwecks (s. Rz. 426 ff.) – und zeitlich begrenzt – bis zur Beendigung der Gefährdung – beschränkt werden darf (vgl. § 147 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 StPO: "soweit"); mangels effektiver Rechtsmittel ist leider teilweise zu beobachten, dass Akteneinsicht erst gewährt wird, wenn es der Ermittlungsbehörde opportun oder unabweisbar (z.B. § 147 Abs. 2 StPO: Vermerk des Abschlusses der Ermittlungen oder Haft) erscheint.
Rz. 397
Eine Beobachtung der Praxis ist, dass die Akteneinsicht oft mit Standardschreiben bezüglich einer nicht näher begründeten Gefährdung des Untersuchungszwecks oder dem Verweis auf eine erfolgte Aktenversendung verweigert wird. Die Behauptung ersetzt aber nicht die erforderliche Gefährdung und auch der bloße Hinweis auf den Versand der Akten ist keine ausreichende Begründung zur Verweigerung der Akteneinsicht. Die Akte mag zurückgefordert und ggf. Doppelakten angelegt werden.
Rz. 398
Von drei Ausnahmen abgesehen, soll diese Entscheidung gem. § 147 Abs. 5 StPO nicht anfechtbar sein. Die gesetzlichen Ausnahmen sind keine Einsicht (1) obwohl der Abschluss der Ermittlungen vermerkt ist, (2) in Niederschriften und Gutachten i.S.d. § 147 Abs. 3 StPO oder (3) bei einem nicht auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten. Zu diesen und weiteren unmittelbaren Ansprüchen auf Akteneinsicht vgl. Rz. 449 ff.
Rz. 399
Allerdings muss man für rein steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren konstatieren, dass der Verteidiger in den regelmäßig (§ 386 Abs. 2 AO) von der StraBu geführten Verfahren auf seinen bei ihr anzubringenden Antrag (§§ 385, 399 AO, § 147 StPO) zumeist zeitnah Einsicht in die Hauptakte bekommt.
Rz. 400
In zeitlicher Hinsicht besteht das Akteneinsichtsrecht während des gesamten Verfahrens. In der Hauptverhandlung kann jedoch nur dann Akteneinsicht verlangt werden, wenn nicht zuvor eine Möglichkeit zur Einsichtnahme bestand (z.B. bei Bestellung während der Hauptverhandlung oder bis dahin nicht umfassend gewährter Akteneinsicht). Des Weiteren besteht ggf. Veranlassung zu mehrfacher Akteneinsicht, wenn nach der ersten Akteneinsicht weiterer Akteninhalt hinzugekommen ist.
Rz. 401
Trotz der Beschränkungen bestehen im Strafverfahren vor Abschluss der Ermittlungen Möglichkeiten, den Akteneinsichtsanspruch auch über die genannten Fälle hinaus im Falle von Durchsuchung, Beschlagnahme oder Arrest durchzusetzen (dazu Rz. 449 ff.).
Rz. 402
Wird das Verfahren gegen den Beschuldigten eingestellt, ist der Verteidiger gem. § 147 StPO berechtigt, auch nach Abschluss des Verfahrens – nochmals – Akteneinsicht zu beantragen, die ihm auch zu gewähren ist. Das gilt unabhängig davon, nach welcher Vorschrift das Verfahren eingestellt wurde, sei es nach § 170 Abs. 2 StPO oder gem. §§ 153 ff. StPO (s. dazu § 385 Rz. 553 ff.). Ein besonderes Interesse braucht der Verteidiger nicht darzulegen, denn mit dem Abschluss der Ermittlungen entfällt die ohnehin eine Ausnahme darstellende Beschränkung des nach der Gesetzessystematik von Anfang an im Grundsatz uneingeschränkten Akteneinsichtsrechts – die Verweigerung der Akteneinsicht ist begründungsbedürftig, nicht der Antrag auf Einsicht in die gegen den Antragsteller geführte Ermittlungsakte (s. Rz. 396). Eine Antragsbegründung ist nur für die Einsicht in gegen Dritte geführte Akten erforderlich. Unabhängig davon ergibt sich ein berechtigtes Interesse daraus, dass unter gewissen Voraussetzungen die Ermittlungen wieder aufgenommen werden können.
Rz. 403– 405
Einstweilen frei.