Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 175
Ob die vorbezeichneten strafprozessualen Verwertungsverbote im Strafverfahren Fernwirkung haben, ist umstritten (zum Meinungsstand s. auch § 385 Rz. 1053 ff. m.w.N.). Der BGH lehnt dies grds. ab. Werden aufgrund einer unverwertbaren Beweiserhebung neue Beweismittel bekannt, dürfen diese grds. verwertet werden. Eine Fernwirkung hat der BGH bislang nur bei schweren Verstößen ausnahmsweise anerkannt. Selbst beim Verwertungsverbot des § 136a Abs. 3 StPO sind nach h.M. nur die Auskünfte selbst gesperrt, nicht aber die aufgrund dessen gewonnenen Beweismittel. Danach kann eine spätere Aussage verwertet werden, wenn die Willensfreiheit des Betroffenen nicht mehr beeinträchtigt ist. So soll nach Ansicht der Finanzverwaltung die Vernehmung soweit erforderlich neu durchgeführt werden. Dabei soll der Beschuldigte qualifiziert dahin belehrt werden, dass die erste Vernehmung unverwertbar ist (vgl. Nr. 149 Abs. 1 Satz 2 und 3 AStBV (St) 2023/2024, s. AStBV Rz. 149).
Rz. 176
Zutreffender Ansicht nach wird man aber eine Fernwirkung bei unzulässigem Zwangsmitteleinsatz und auch dann anzunehmen haben, wenn der Prüfer trotz Verdachts die Ermittlungen ohne die Bekanntgabe der Verfahrenseinleitung und Belehrung fortsetzt. Speziell bei Steuerstraftaten fiele es der Steufa bei Unterlaufen der Verwertungsverbote nur allzu leicht, sich die Beweismittel aufgrund der Aussage des Beschuldigten bei den bezeichneten Geschäftspartnern, Kunden oder Banken zu beschaffen. Die Anerkennung der strafprozessualen Verwertungsverbote im Falle der verspäteten Einleitung des Strafverfahrens bzw. des verfassungsrechtlich bedenklichen Zwangs zur Selbstbelastung sind deshalb geeignete Mittel, im Einzelfall den grundlegenden Konflikt zwischen fortbestehenden steuerlichen Mitwirkungspflichten und dem strafprozessualen Schweigerecht in geeigneter Weise zu lösen. Von ihnen geht auch eine disziplinierende Wirkung auf die Steuer(fahndungs)behörden aus. Das Steuerstrafverfahren kann hierdurch nur an Rechtsstaatlichkeit gewinnen.
Rz. 177
Der Prüfer darf also nicht als Zeuge über den Inhalt der Befragung vernommen werden. Hat der Stpfl. z.B. private Kontoverbindungen offenbart, darf keine Beschlagnahme der Kontounterlagen bei der betreffenden Bank durch die Steufa erfolgen, weil der Verfahrensverstoß der unterlassenen Belehrung insoweit fortwirkt.
Rz. 178
Auch bei dem strafrechtlichen Verwendungsverbot, das der BGH im Falle mittelbarer Selbstbelastung durch wahrheitsgemäße Steuererklärungen für nicht strafbefangene Jahre anerkennt (s. Rz. 124), hat der BGH eine Fernwirkung abgelehnt. Die Ermittlungsbehörden seien nicht gehindert, anderweitige Verdachtsmomente (etwa aus Kontrollmitteilungen) zu verfolgen. Gesperrt sind also nur Erkenntnisquellen, die allein durch die Angaben des Beschuldigten zugänglich geworden sind.
Rz. 179
Auch diese Relativierung der Entscheidung kann aber nur in ganz besonderen Ausnahmefällen die Verwendung der erlangten Informationen rechtfertigen. Offen bleibt z.B. die Frage, ob bei mittelbarer Belastung durch eine Selbstanzeige die Angaben im Strafverfahren verwendet werden könnten, weil eine erzwingbare Pflicht zur Selbstanzeige nicht besteht.
Rz. 180
Der BFH hat zwar grds. anerkannt, dass es auch im Besteuerungsverfahren zur Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten kommen kann, dies aber durchweg verneint (s. Rz. 169). Es kommt auf die Schwere des Verfahrensverstoßes im Einzelfall an. Voraussetzung ist, dass ein qualifizierter, grundrechtsrelevanter Verfahrensverstoß vorliegt, der dazu führt, dass das Individualinteresse des Stpfl. höher zu bewerten ist als die Pflicht des Staates, eine gesetzmäßige und gleichmäßige Steuerfestsetzung zu gewährleisten.