Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 71
Aus den vorbezeichneten Gründen ist bei verweigerter Mitwirkung auch die Aufforderung zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und Abgabe der eidesstattlichen Versicherung im Vollstreckungsverfahren nach § 284 AO unzulässig, weil dadurch der Stpfl. gezwungen würde, wahrheitsgemäß (unter der Strafandrohung des § 156 StGB) – zumindest teilweise auch – strafrechtlich relevante Sachverhalte zu offenbaren, wobei ihm bei Weigerung sogar Erzwingungshaft droht (§ 284 Abs. 8 AO).
Rz. 72
Dagegen schließen BFH und BGH (s. nachst. Beispiel) unter Verweis auf den Wortlaut des § 328 AO die Anwendbarkeit des Zwangsmittelverbots gem. § 393 Abs. 1 Satz 2 AO auf die dort nicht in Bezug genommene eidesstattliche Versicherung aus.
Beispiel
nach BGH: Der Angeklagte hatte zunächst im steuerlichen Festsetzungsverfahren unrichtige Angaben gemacht und war deswegen wegen Steuerhinterziehung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Sodann täuschte der Angeklagte im anschließenden Beitreibungsverfahren betr. diese Steuerschuld in Schreiben und in einer unter Zwangsmittelandrohung verlangten eidesstattlichen Versicherung gegenüber den FinB Vermögenslosigkeit vor. Zu diesem Zeitpunkt war bereits das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen unrichtiger Angaben im steuerlichen Festsetzungsverfahren eingeleitet. Ein Anfangsverdacht für unrichtige Angaben auch im Beitreibungsverfahren bestand dagegen nicht, ein Ermittlungsverfahren war insoweit zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht eingeleitet. Die Steuerhinterziehung im Festsetzungsverfahren und die auf die Vereitelung der Vollstreckung wegen der festgesetzten Steuerschuld gerichtete Steuerhinterziehung im Beitreibungsverfahren sind – so der BGH – zwei unterschiedliche prozessuale Taten, die im Verhältnis der Tatmehrheit stehen. Die Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten sei rechtens.
Die im Vollstreckungsverfahren abgegebene eidesstattliche Versicherung unterlag – so der BGH – keinem Verwertungsverbot und konnte daher in der Hauptverhandlung verlesen werden. § 284 AO gehöre wegen des ausdrücklichen Verweises auf § 328 AO nicht zu den darin genannten unzulässigen Zwangsmitteln zur Durchsetzung einer Mitwirkung i.S.v. § 393 Abs. 1 AO (so auch bereits der BFH). Der Nemo-tenetur-Grundsatz berechtige nur zum Schweigen, nicht aber zur Begehung neuen Unrechts. Zudem habe sich der Angeklagte in keiner Konfliktlage befunden. Das Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung im Beitreibungsverfahren sei zu dem Zeitpunkt noch nicht eingeleitet gewesen. Mangels Bekanntgabe einer Verfahrenseinleitung sei noch eine Selbstanzeige (§ 371 Abs. 1 AO) möglich gewesen. Selbst wenn sich der Stpfl. durch in der eidesstattlichen Versicherung gemachte wahrheitsgemäße Angaben über die Vermögenssituation mittelbar in dem das Festsetzungsverfahren betreffenden Steuerstrafverfahren selbst belasten würde, wäre er durch ein Verwendungsverbot geschützt gewesen. Insoweit gelte für erzwungene Angaben im Beitreibungsverfahren nichts anderes als im Hinblick auf erzwungene Angaben im Steuerfestsetzungsverfahren, soweit es sich auf andere Veranlagungszeiträume und Steuerarten bezieht als diejenigen, die von einem bereits eingeleiteten Steuerstrafverfahren erfasst werden (s. dazu Rz. 92, 101, 124). Auch sei im Entscheidungsfall nicht ersichtlich gewesen, dass die förmliche Einleitung des Ermittlungsverfahrens verzögert worden sei. Selbst dann hätte der Angeklagte mangels Tatentdeckung noch bis zur Bekanntgabe der Verfahrenseinleitung Strafbefreiung durch Selbstanzeige erlangen können.
Rz. 73
Der BGH schränkt durch diese Entscheidung in bedenklicher Weise den Strafklageverbrauch und die Selbstbelastungsfreiheit bei Steuerstraftaten ein. In der Zusammenschau mit der Rspr. zur Suspendierung der Strafbewehrung bei drohender Selbstbelastung (s. Rz. 111 ff.) droht das Zwangsmittelverbot mit dem Verweis auf die Möglichkeit der Selbstanzeige gänzlich leerzulaufen. Es wird faktisch eine Pflicht bzw. Obliegenheit zur Abgabe einer Selbstanzeige unterstellt. Dabei wird verkannt, dass wegen der verschärften Anforderungen an eine Selbstanzeige häufig eine Strafbefreiung gem. § 371 Abs. 2 AO ausgeschlossen sein wird bzw. der Täter sich subjektiv in einer Zwangslage befindet, weil er von einer Tatentdeckung oder deren Kennenmüssen ausgeht. Auch wenn ihm die fristgerechte Steuernachzahlung (§ 371 Abs. 3 AO) nicht möglich ist, ist ihm dieser Ausweg verwehrt.