Schrifttum:
Ebert, Der Tatverdacht im Strafverfahren, 2000; Kammann, Der Anfangsverdacht, 2003; Schulz, Normiertes Misstrauen, 2001; Haas, Vorermittlungen und Anfangsverdacht, 2003.
Ergänzender Hinweis: Nr. 14, 26 AStBV (St) 2020 (s. AStBV Rz. 14, 26)
Rz. 5
Voraussetzung ist das Vorliegen eines sog. Anfangsverdachts. Es genügt ein "einfacher" Verdacht, der von dem von der Intensität her stärkeren "dringenden" (bei Untersuchungshaft gem. § 112 StPO) oder "hinreichenden" Tatverdacht (bei Anklageerhebung oder Eröffnung des Hauptverfahrens, § 170 Abs. 1, § 203 StPO) zu unterscheiden ist (s. dazu auch § 385 Rz. 124). Zum Begriff der Steuerstraftat s. § 369 Rz. 15 ff. und § 386 Rz. 53 ff.
An die Darlegung des Verdachts einer Steuerstraftat und damit die Aufnahme strafprozessualer Ermittlungen werden in der Praxis zumeist keine hohen Anforderungen gestellt. Bereits im Gesetz ist die Eingriffsschwelle eher vage beschrieben, wenn "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte" (§ 152 Abs. 2 StPO, ebenso Nr. 14 AStBV (St) 2020; s. AStBV Rz. 14) für eine Straftat vorliegen müssen, ohne dass dafür eine hohe Wahrscheinlichkeit sprechen muss. Das ist nach anerkannter Definition der Fall, wenn nach kriminalistischer Erfahrung die Möglichkeit besteht, dass eine verfolgbare Straftat begangen worden ist. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit soll genügen. Nach der Rspr. haben die Ermittlungsorgane bei diesem unbestimmten Rechtsbegriff zwar keinen Ermessens-, wohl aber einen gewissen Beurteilungsspielraum.
Ausreichen sollen schon entfernte Indizien für eine Straftat, z.B. eine Kapitalanlage in Luxemburg. Aber auch die bloße Verwendung von Offshore-Gesellschaften reicht in der Praxis aus.
Eine allgemeine Definition des Anfangsverdachts und die abstrakte Abgrenzung zur unzureichenden Verdachtsbegründung lässt sich kaum im Wege einer "Punktlandung" beschreiben. Hilfreich und für eine präzisere Umschreibung förderlich erscheinen konkrete Beispielsfälle aus der Praxis (s. dazu Rz. 25 ff.).
Eine für Steuerstrafverfahren bedeutsame und für die Strafprozessordnung aufschlussreiche, freilich nicht bindende inhaltliche Ausgestaltung des Legalitätsprinzips findet sich in § 10 Abs. 1 Satz 1 BpO, wonach der die Ermittlungspflicht der Strafverfolgungsbehörde begründende Verdacht grds. nur dann angenommen werden kann, wenn sich dieser auf zureichende tatsächliche Anhaltspunkte stützen lässt. Hierzu existieren gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder.
Einigkeit besteht darin, dass bloße Vermutungen, Hypothesen oder vage Hinweise, die sich nicht auf konkrete Anhaltspunkte stützen lassen, allein keinen Anfangsverdacht begründen können; auf dieser Ebene sind allenfalls Vor(feld)ermittlungen möglich (s. Rz. 6 f.). Ansonsten würde eine unzulässige Suche nach strafbaren Handlungen stattfinden. Daher können allgemeine Erfahrungssätze ohne konkrete Erkenntnisse und die bloße Möglichkeit, ein gesetzlich zulässiger Betrieb könnte von Straftätern genutzt werden, einen hinreichenden Ermittlungsanlass erst bieten, wenn "Verdachtsmomente für den konkreten Missbrauch vorliegen". Auch bloße formelle Fehler oder ein steuerliches Mehrergebnis bei einer Betriebsprüfung deuten noch nicht auf eine Steuerhinterziehung hin, hinzukommen müssen insoweit auch subjektive Tatumstände.
Zur Verdachtsbegründung erforderlich sind somit konkrete Tatsachen, d.h. konkrete Vorgänge oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die sinnlich wahrnehmbar und dem Beweis zugänglich sind. Doch auch dann verbleibt die entscheidende Frage, ob darauf gestützt die Lebenserfahrung oder kriminalistische Erfahrungssätze für die "Möglichkeit" oder "gewisse Wahrscheinlichkeit" einer Täter- oder Teilnehmerschaft des Verdächtigen sprechen.
Das Vorliegen tatsächlicher zureichender Anhaltspunkte kann sich im Rahmen von Betriebsprüfungen auch aus den schriftlichen Prüferanfragen ergeben, wenn diese in einer Gesamtschau erkennen lassen, dass die Anfragen ersichtlich der Aufklärung strafbefangener Sachverhalte dienen.
Rz. 5.1
Nicht ausreichend für einen Verdacht der Steuerhinterziehung sind
- die Vermutung, der Stpfl. erhalte wie in der Vergangenheit weiterhin Geld aus "schwarzen Kassen",
- die Tätigkeit als Prostituierte,
- die generelle Annahme, Bestechungsgelder seien als "Provision" oder "Beratungshonorar" verbucht worden,
- Berufung auf Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO,
- der Zufluss hoher Geldbeträge, ohne dass dies mit dem zuvor versteuerten Einkommen erklärt werden kann,
- die Inhaberschaft von Tafelpapieren oder Geldtransfer ins Ausland,
- die bloße Existenz von Auslandskonten.
Bei Tafelgeschäften bspw. ist der Anfangsverdacht einer Steuerstraftat erst bei einem ungewöhnlichen Umfang oder einem nicht banküblichen, gezielt anonymisierten Geschäftsablauf (Bareinzahlungen/Barabhebungen außerhalb der bei dem Kreditinstitut geführten Konten und Depots) gerechtfertigt.
Rz. 5.2
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