Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 41
Gemäß § 407 Abs. 1 Satz 1 StPO kann ein Strafbefehl nur beantragt werden, wenn ein Vergehen geahndet werden soll. Ein solches liegt bei einer rechtswidrigen Tat vor, die im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe unter einem Jahr oder Geldstrafe bedroht ist (vgl. § 12 Abs. 2 StGB i.V.m. § 369 Abs. 2 AO). Bei Verbrechen (vgl. § 12 Abs. 1 StGB: Strafdrohung von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe oder mehr) scheidet eine Ahndung durch Strafbefehl dagegen aus; dann ist Anklage vor dem LG zwingend geboten. Nach Aufhebung des § 370a AO zum 27.7.2002 durch das TKÜG vom 21.12.2008 gibt es im Steuerstrafrecht keinen Verbrechenstatbestand mehr.
Rz. 41.1
Auch bei besonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung i.S.d. § 370 Abs. 3 Nr. 1–6 AO (s. § 370 Rz. 1088 ff.) mit einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren scheidet das Strafbefehlsverfahren grds. nicht aus (§ 12 Abs. 3 StGB). Jedoch hat der BGH mit seinem Urteil vom 2.12.2008 zum Strafmaß bei der Steuerhinterziehung (zu den in der Praxis üblichen Strafmaßtabellen s. § 370 Rz. 1075 ff.) für die Tatgerichte in einem obiter dictum Vorgaben gemacht (krit. dazu § 370 Rz. 1029.2 ff.). Der BGH wies u.a. darauf hin, dass bei einem Verkürzungsschaden in Millionenhöhe eine Erledigung im Strafbefehlsverfahren regelmäßig nicht geeignet erscheine, da mit Strafbefehl nur eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, verhängt werden könne (vgl. § 400 AO i.V.m. § 407 StPO) und ab einem Millionenbetrag eine nicht aussetzungsfähige Freiheitsstrafe zwingend geboten sei. Bei Steuerverkürzungen dieser Größenordnung sei i.d.R. auch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Wahrung der Gleichbehandlung vor Gericht – das eine öffentliche Hauptverhandlung am besten gewährleistet – nicht gering zu achten (vgl. § 407 Abs. 1 Satz 2 StPO).
Die Finanzverwaltung hält im Übrigen das Strafbefehlsverfahren für nicht geboten bei einem besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 3 AO; vgl. Nr. 84 Abs. 3 Satz 2 AStBV (St) 2020).
Rz. 42
Für das Strafbefehlsverfahrens grds. geeignete Steuerstraftaten sind damit:
- § 370 Abs. 1 AO (Steuerhinterziehung),
- § 370 Abs. 2 AO (versuchte Steuerhinterziehung),
- § 370 Abs. 3 AO (Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen unterhalb eines Verkürzungsschadens von 1 Mio. EUR, s. Rz. 41.1, bzw. nicht über einem Jahr Freiheitsstrafe zur Bewährung, s. Rz. 82 ff.),
- § 372 AO (Bannbruch),
- § 373 AO (gewerbsmäßiger, bandenmäßiger und gewaltsamer Schmuggel),
- § 374 AO (Steuerhehlerei),
- §§ 148, 149 StGB (Wertzeichenfälschung und deren Vorbereitung, soweit die Tat Steuerzeichen betrifft),
- § 257 StGB (Begünstigung einer Person, die eine Tat nach § 369 Abs. 1 Nr. 1–2 AO begangen hat).
Rz. 42.1
Zudem kommt ein Strafbefehlsantrag durch die FKS bei der Nichtsteuerstraftat nach § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt) in Betracht (s. Rz. 27.1).
Rz. 43
Des Weiteren können in Tateinheit oder in sonstigem Zusammenhang mit einer Steuerstraftat stehende Ordnungswidrigkeiten in einem Strafbefehl geahndet werden (vgl. §§ 21, 64 OWiG). Bei Annahme von Tateinheit (§ 52 StGB) wird grds. nur das Strafgesetz angewendet. Im Tenor der Entscheidung findet die Ordnungswidrigkeit keine Erwähnung; sie kann allerdings bei der Strafzumessung selbständige Berücksichtigung finden. Insbesondere können auch Nebenfolgen der Ordnungswidrigkeit festgesetzt werden (§ 21 Abs. 1 Satz 2 OWiG).
Rz. 44
Bei sonstigem Zusammenhang (i.S.d. § 42 Abs. 1 Satz 2 OWiG) mit der Straftat (persönlicher Zusammenhang oder verfahrensrechtlicher Zusammenhang i.S.d. § 264 StPO) kann die FinB gem. § 400 i.V.m. § 410 Abs. 2 AO beantragen, den Strafbefehl auf die Steuerordnungswidrigkeit zu erstrecken, in dem Strafe und Nebenfolgen der Straftat sowie eine Geldbuße in bestimmter Höhe und Nebenfolgen der Ordnungswidrigkeit festgesetzt werden (vgl. Nr. 110 Abs. 3 AStBV (St) 2020; s. AStBV Rz. 110, auch zum Übergang der Verfolgungskompetenz auf die StA bei Abgabe).