Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers auf leidensgerechte Beschäftigung
Leitsatz (amtlich)
1. Ist der schwerbehinderte Arbeitnehmer (Postzusteller im Paketdienst) aus gesundheitlichen Gründen zur Erledigung der ihm kraft Direktionsrechts zugewiesenen Aufgabe außerstande, so ist der Arbeitgeber – über die Grenzen der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht hinaus – gemäß § 14 SchwbG verpflichtet, den Arbeitnehmer auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz in einem anderen Betrieb des Unternehmens einzusetzen, auch wenn ein geeigneter Arbeitsplatz nur durch innerbetriebliche Versetzung eines weniger schutzbedürftigen Arbeitnehmers frei gemacht werden kann und hiermit für den versetzten Arbeitnehmer keine ernsthaften Erschwernisse verbunden sind. Der Klageantrag ist insoweit auf Abgabe einer Willenserklärung (Zuweisung des Arbeitsplatzes im Wege des Direktionsrechts) zu richten.
2. Stimmt der Betriebsrat des aufnehmenden Betriebs der Versetzung des schwerbehinderten Arbeitnehmers auf einen behindertengerechten Arbeitsplatz nicht zu, so kommt eine Verurteilung des Arbeitgebers zur Beschäftigung nur unter dem Vorbehalt der Betriebsratszustimmung in Betracht mit der Folge, dass eine Vollstreckung erst nach ersetzter Betriebsratszustimmung erfolgen kann (vgl. BGH, NJW 1980, 1262).
3. Zur Erfüllung des Anspruchs auf behindertengerechte Beschäftigung kann die Verpflichtung des Arbeitgebers gehören, die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur Versetzung gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG ersetzen zu lassen (Abgrenzung zu BAG, AP Nr. 32 zu § 1 KSchG Krankheit).
4. Gegenüber dem schwerbehinderten Arbeitnehmer ist der Arbeitgeber auch zur Durchführung einer Wiedereingliederungsmaßnahme verpflichtet (offen gelassen in BAG, AP Nr. 1 zu § 74 SGB V).
Normenkette
SchwbG § 14; BetrVG § 99; BGB § 615
Verfahrensgang
ArbG Bielefeld (Entscheidung vom 16.11.2000; Aktenzeichen 3 Ca 1758/00) |
Nachgehend
Tenor
Unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wird auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 16.11.2000 – 3 Ca 1758/00 – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
- Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger in der Niederlassung H2xxxxx eine Tätigkeit im Briefdienst, und zwar im Fahrdienst, zuzuweisen.
- Die Beklagte wird weiter verurteilt, beim Betriebsrat die für die Beschäftigung des Klägers am vorstehend bezeichneten Arbeitsplatz erforderliche Zustimmung gemäß § 99 BetrVG einzuholen, einschließlich Durchführung des Zustimmungsersetzungsverfahrens.
- Der Zahlungsantrag wird abgewiesen.
- Der Streitwert für das Teilurteil wird auf 22.839,– DM festgesetzt.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Mit seiner Klage begehrt der im Postdienst tätige, schwerbehinderte Kläger, welcher aus gesundheitlichen Gründen die ihm bislang zugewiesene Tätigkeit in der Paketzustellung nicht mehr ausüben kann, die Zuweisung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes in einer anderen Dienststelle kraft Direktionsrechts. Diesem Begehren tritt die Beklagte mit dem Einwand entgegen, der Betriebsrat der aufnehmenden Dienststelle habe einer entsprechenden Versetzungsmaßnahme widersprochen, ohne dass die Beklagte zur Durchführung eines Zustimmungsersetzungsverfahrens verpflichtet sei. Weiter bedürfe es nach dem vorliegenden arbeitsmedizinischen Gutachten vorab der Durchführung einer Wiedereingliederungsmaßnahme, auf welche indessen kein Anspruch bestehe. Dementsprechend hat der Kläger sein Begehren zweitinstanzlich dahingehend erweitert, dass die Beklagte – neben der Zuweisung des begehrten Arbeitsplatzes – zur tatsächlichen Beschäftigung und zur Durchführung des Zustimmungs- bzw. Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 99 BetrVG verurteilt werden soll. Schließlich macht der Kläger für die Dauer der Nichtbeschäftigung Zahlungsansprüche unter dem Gesichtspunkt von Verzug oder Schadensersatz geltend.
Der Kläger, geboren am 20.12.1952, verheiratet, ein Kind, ist aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages (Bl. 4 ff. d.A.) seit dem 27.06.1995 als Arbeiter beschäftigt und war zuletzt als Paketzusteller in der Zustellbasis B1xxxxxxx mit einem monatlichen Bruttoentgelt von ca. 4500 DM eingesetzt. Durch Bescheid des Versorgungsamtes Bielefeld vom 10.09.1999 wurde der Kläger als Schwerbehinderter mit einem GdB von 50 anerkannt, und zwar u.a. wegen Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule, Hautveränderungen sowie Herzleistungsminderung. Im Mai 1999 hatte der Kläger einen Myokardinfarkt erlitten und ist seither arbeitsunfähig erkrankt. Im Anschluss an eine arbeitsmedizinische Untersuchung im Werksarztzentrum Rietberg e.V. vom 13.04.2000 (Bl. 13 ff. d.A.) ist unter den Parteien unstreitig, dass der Kläger seine bislang ausgeübte Tätigkeit in der Paketzustellung dauerhaft nicht mehr ausüben kann. Die Beklagte betreibt aus diesem Grunde bei der Hauptfürsorgestelle ein Verfahren auf Zustimmung zur Kündigung. Mit Bescheid vom 06.04.2001 (Bl. 209 d.A.) hat die Hauptfürsorgestelle d...