Entscheidungsstichwort (Thema)
Freistellung durch den Insolvenzverwalter mangels ausreichender Masse
Leitsatz (amtlich)
1. Der Insolvenzverwalter kann aus insolvenzspezifischen Gründen berechtigt sein, einen Teil der Belegschaft von der Arbeit freizustellen. Er ist bei der Ausübung seines Freistellungsrechts an die Grenzen des billigen Ermessens gemäß § 315 Abs. 1 BGB gebunden. Dabei können soziale Gesichtspunkte wie Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und besondere finanzielle Interessen der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Bedeutung sein.
2. Stellt der Insolvenzverwalter einen Teil der Belegschaft mangels ausreichender Masse von der Arbeit frei, kann eine einstweilige Verfügung auf Weiterbeschäftigung nur ergehen, wenn die Auswahlentscheidung des Insolvenzverwalters willkürlich oder offensichtlich unwirksam ist und besondere Beschäftigungsinteressen dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile für den freigestellten Arbeitnehmer gebieten.
3. Es bleibt unentschieden, ob der Insolvenzverwalter bei der vorübergehenden Freistellung eines Teils der Belegschaft Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG zu beachten hat.
Normenkette
ArbGG § 62 Abs. 2; ZPO §§ 935, 940; InsO § 55 Abs. 2 S. 2, § 209 Abs. 2 Nr. 3; BGB § 315 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Hagen (Westfalen) (Entscheidung vom 05.07.2000; Aktenzeichen 4 Ga 14/00) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 05.07.2000 – 4 Ga 14/00 – abgeändert:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Streitwert: unverändert 11.752,– DM.
Tatbestand
Der Kläger nimmt den Beklagten im Wege der einstweiligen Verfügung auf Weiterbeschäftigung in Anspruch.
Der am 11.10.1954 geborene Kläger, der verheiratet ist und ein Kind hat, war bei der Firma I……. Interessengemeinschaft Druck und Medien GmbH bzw. deren Rechtsvorgängerin, der Firma G….. H…….. GmbH, seit dem 01.05.1992 als Scanner-Operator gegen eine monatliche Vergütung von zuletzt 5.876,– DM tätig. Durch Bescheid des Arbeitsamtes Hagen vom 06.10.1999 ist er gemäß § 2 SchwbG den Schwerbehinderten gleichgestellt. Seine Ehefrau ist ebenfalls schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 90.
Am 01.06.2000 wurde über das Vermögen der I……. GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Schreiben vom 07.06.2000 stellte der Beklagten den Kläger und weitere 35 Mitarbeiter mangels einer ausreichenden Masse von der weiteren Mitarbeit frei und ordnete an, etwaige Urlaubsansprüche in der Zeit der Freistellung zu nehmen. Gleichzeitig bat er den Kläger darum, sich beim Arbeitsamt zu melden. Der ebenfalls als Scanner-Operator seit dem 22.10.1984 tätige Mitarbeiter J…….. v… H…… der 52 Jahre alt, verheira- tet und nicht schwerbehindert ist, wurde weiterbeschäftigt.
Der Kläger hält seine Freistellung für unwirksam und meint, nach sozialen Gesichtspunkten hätte er statt des Kollegen v… H…… weiterbeschäftigt werden müssen. Ihn träfe die Freistellung härter, weil seine Ehefrau schwerbehindert und ohne Einkommen sei und er ein Kind zu unterhalten habe. Auf den Differenzbetrag zwischen dem Arbeitslosengeld und seiner vertraglichen Vergütung könne er nicht verzichten.
Dem hält der Beklagte entgegen, der Kläger verkenne die insolvenzspezifischen Probleme. Wenn keine sinnvolle Beschäftigung mehr möglich sei oder der Arbeitnehmer aus der Masse nicht mehr bezahlt werden könne, müsse die Freistellung durch den Insolvenzverwalter erfolgen. Es handele sich dabei nicht um einen mitbestimmungspflichtigen Vorgang, denn die Freistellung erfolge nicht zur Überbrückung eines vorübergehenden Arbeitsmangels. Die Freistellungen seien erforderlich gewesen, da eine Weiterbeschäftigung aufgrund der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens nicht mehr möglich gewesen sei. Es bestehe Masseunzulänglichkeit.
Am 30.06.2000 wurden die Arbeitsverhältnisse sämtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch den Beklagten gekündigt, nachdem zuvor ein Interessenausgleich und ein Sozialplan mit dem Betriebsrat geschlossen worden war. In der Betriebvereinbarung über einen Interessenausgleich gemäß § 125 InsO, §§ 111 ff BetrVG vom 28.06.2000 heißt es, dass alle Bemühungen um eine Fortführung des Unternehmens gescheitert seien. II. der Betriebsvereinbarung lautet:
„Alle Mitarbeiter werden am 30.06.2000 unter Beachtung der jeweiligen Kündigungsfrist gekündigt, § 113 InsO. Es findet eine Auslaufproduktion statt. Alle Mitarbeiter sind grundsätzlich bis zum Ablauf der Kündigungsfristen zur Arbeitsleistung verpflichtet, es sei denn der Insolvenzverwalter hat sie davon freigestellt.”
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat am 05.07.2000 folgendes Urteil verkündet:
„Der Verfügungsbeklagte wird verurteilt, den Verfügungskläger als Scanner-Operator entsprechend der bisherigen Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisse...