Entscheidungsstichwort (Thema)
Direktionsrecht des Arbeitgebers. Arbeitsverweigerung aus Glaubensgründen. Mitwirkung an der Herstellung alkoholischer Getränke. Glaubensfreiheit. Gewissensfreiheit. Außerordentliche Kündigung. Wichtiger Grund. Soziale Rechtfertigung
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
2. Die beharrliche Arbeitsverweigerung kann einen gravierenden Pflichtverstoß und damit einen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Dem steht nicht entgegen, wenn sich der Arbeitnehmer auf eine berechtigte Glaubens- und Gewissensentscheidung beruft, sofern ihn dies im Einzelfall nicht berechtigt, seine vertraglich geschuldete Arbeit aufgrund seines Glaubens zu verweigern. Dies ergibt eine Abwägung der kollidierenden Grundrechtsgüter aus Art. 4 GG und Art. 12 Abs. 1 GG.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1, § 315; GewO § 106; GG Art. 4 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Kiel (Urteil vom 16.06.2008; Aktenzeichen 2 Ca 455 c/08) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 16.06.2008, Az. 2 Ca 455 c/08, abgeändert und festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 01.03.2008 beendet worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz tragen die Parteien je zur Hälfte.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Revision nicht gegeben; im Übrigen wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.
Tatbestand
Die Parteien führen einen Kündigungsrechtsstreit.
Der am …1963 geborene, verheiratete Kläger, der zwei Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet ist, ist seit dem 14.11.1995 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Er wurde als Helfer in der Waschstraße eingestellt. Nachdem die Beklagte den Betrieb der Waschstraße eingestellt hatte, wurde der Kläger mit Wirkung ab dem 01.10.2003 als Ladenhilfe übernommen und in der Getränkeabteilung des Bereiches „Allgemeine Lebensmittel” eingesetzt. Zu den Aufgaben der Ladenhilfe zählen vornehmlich Auffüll- und Verräumarbeiten. Sie können grundsätzlich flexibel im gesamten Warenhaus eingesetzt werden, wobei die Beklagte den Ladenhilfen aus Gründen der Spezialisierung in aller Regel einen bestimmten Bereich zuweist. Nachdem der Kläger Mitte des Jahres 2006 den Warenhausleiter K. um einen anderweitigen Einsatz gebeten hatte, erfolgte zum 01.03.2007 bedarfsgemäß die Übertragung von Aufgaben in der Frischwarenabteilung (Molkereiprodukte). Während der dortigen Tätigkeit erkrankte der Kläger wiederholt, was die Beklagte veranlasste, Mitte Dezember 2007 mit ihm ein Personalgespräch zu führen, um gegebenenfalls die Ursachen für die sich häufenden Arbeitsunfähigkeitszeiten herauszufinden. Als der Kläger im Januar 2008 erneut arbeitsunfähig wurde, erfolgte eine weitere Unterredung mit dem Warenhausleiter K., dem Personalleiter E. und dem Kläger. In deren Verlauf wurden Bedenken hinsichtlich des weiteren Einsatzes des Klägers in dem gekühlten Frischebereich thematisiert und dem Kläger eine Rückumsetzung in den Getränkebereich in Aussicht gestellt. Nach einer weiteren Arbeitsunfähigkeitszeit vom 09.02.2008 bis 16.02.2008 begab sich der Kläger anschließend bis zum 23.02.2008 in den Urlaub. Nach Urlaubsrückkehr wies der Warenhausleiters K. den Kläger am 25.02.2008 an, wieder in der Getränkeabteilung zu arbeiten. Der Kläger weigerte sich strikt, dieser Anordnung Folge zu leisten. Er berief sich darauf, dass sein muslimischer Glaube ihm jeglichen Umgang mit Alkohol verbiete. Eine sodann in Gegenwart des Betriebsratsmitgliedes R. geführte Unterredung mit dem Kläger führte ebenso wenig zu einer Änderung des klägerischen Standpunktes wie eine schriftliche Aufforderung zur Arbeitsaufnahme in dem Getränkebereich durch den Warenhausleiter. Der Warenhausleiter K. stellte den Kläger daraufhin für den 25.02.2008 von der Arbeit frei. Am 27.02.2008 erhielt die Beklagte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Klägers, ausgestellt am 25.02.2008 für den Zeitraum bis zum 04.03.2008.
Am 26.02.2008 leitete die Beklagte das Anhörungsverfahren beim Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen, vorsorglich fristgemäßen Kündigung ein (Bl. 45 f. d. A.). Der Betriebsrat widersprach der beabsichtigten Kündigung (Bl. 47 d. A.)
Die Beklagte kündigte dem Kläger mit Schreiben vom 01.03.2008, dem Kläger zugegangen am 03.03.2008, fristlos. Mit weiterem Schreiben vom 05.03.2008 sprach die Beklagte dem Kläger gegenüber vorsorglich ein...