Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtmäßigkeit der Abberufung eines als Gesamtvollstreckungsverwalter tätigen Vorverwalters gem. § 8 Abs. 3 S. 2 Gesamtvollstreckungsordnung (GesO) durch einen Rechtspfleger eines Insolvenzgerichts. Rechtmäßigkeit einer Abberufung eines Vorverwalters ohne eine vorherige Anhörung. Vorliegen eines wichtigen Grundes für eine rechtmäßige Abberufung eines Vorverwalters bei einem begründeten Verdacht bzgl. von Untreue gegenüber der Insolvenzmasse in mehreren Fällen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach § 8 III S. 2 GesO kann das Amtsgericht einen Gesamtvollstreckungsverwalter aus wichtigem Grund abberufen. Funktionell zuständig ist nach §§ 3 Nr. 2 e, 18 I Nr. 1 RPflG der Rechtspfleger. Dieser hat nach § 18 II S. 1 RPflG dem Richter die Möglichkeit zu geben, das Verfahren an sich zu ziehen. Zwar regelt diese Norm ausdrücklich nur den Fall, dass der Richter von sich aus einen Vorbehalt gemacht hat. Wo sich aber der Anlass erst ergibt, nachdem die Bearbeitung auf den Rechtspfleger übergegangen ist, ist der Richter darauf angewiesen, dass ihm der Vorgang zur Kenntnis gebracht wird. Ein solcher Fall ist ein Entlassungsverfahren, in dem die Umstände, die zur Entlassung des Verwalters geführt haben, erst im Verlauf des Verfahrens nach der richterlichen Bestellung des Verwalters entstanden sind.

2. Macht jedoch der zuständige Richter von seinem Vorbehaltsrecht keinen Gebrauch, nachdem er Kenntnis von den Umständen erlangt hat, liegt eine Verletzung der Vorlagepflicht nicht vor.

3. Vor der Abberufung ist dem Verwalter nach § 59 I S.3 InsO rechtliches Gehör zu gewähren. Diese Norm findet auch auf Gesamtvollstreckungsverfahren Anwendung. Diese Gewährung rechtlichen Gehörs kann im Abhilfeverfahren vor dem Insolvenzgericht und im Beschwerdeverfahren nachgeholt werden.

4. Ein wichtiger Grund für die Abberufung eines Gesamtvollstreckungsverwalters liegt vor, wenn der begründete, auf konkrete Anhaltspunkte gestützte Verdacht besteht, dass der Verwalter sich in vielen Fällen als Insolvenzverwalter schwerster gegen Insolvenzmassen gerichteter Straftaten, nämlich der Untreue gemäß § 266 I StGB, strafbar gemacht hat und daher charakterlich ungeeignet für das Verwalteramt ist. Grundsätzlich setzt die Entlassung eines Insolvenzverwalters zwar voraus, dass nicht nur ein bloßer Verdacht besteht, sondern die Tatsachen, die den Entlassungsgrund bilden, zur vollen Überzeugung des Insolvenzgerichts nachgewiesen sind. Eingriffe in das durch Art. 12 GG geschützte Amts des Verwalters sind nur zulässig, soweit sie durch höherwertige Interessen des gemeinen Wohls gerechtfertigt sind, nicht weiter gehen, als es erforderlich ist, und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Außerdem ist die in Art. 6 II EMRK niedergelegte Unschuldsvermutung auch von den Zivilgerichten zu beachten.

5. Es sind jedoch die im Arbeitsrecht geltenden Grundsätze der Verdachtskündigung entsprechend anzuwenden. Danach ist eine fristlose Kündigung möglich, wenn auf objektiven Tatsachen beruhende Verdachtsmomente einer Straftat vorliegen und diese geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnis erforderliche Vertrauen bei einem verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zu zerstören. Dabei sind an die Darlegung und Qualität der schwerwiegenden Verdachtsmomente besonders strenge Anforderungen zu stellen, weil bei einer Verdachtskündigung immer die Gefahr besteht, dass ein "Unschuldiger" betroffen ist. Der notwendige, schwerwiegende Verdacht muss sich aus den Umständen ergeben oder objektiv durch Tatsachen begründet sowie auch sein dringend sein. Schließlich muss ein Arbeitgeber alles ihm Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts getan haben, insbesondere dem Arbeitnehmer ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben.

6. Ergibt sich aus dem Inhalt von Ermittlungsakten einer ermittelnden Staatsanwaltschaft eindeutig ein auf objektive Tatsachen gestützter Verdacht von Untreue und Vorteilsnahme zu Lasten der Masse in einer Vielzahl von Fällen, dann liegen die Voraussetzungen für eine Abberufung vor. Die Begehung schwerwiegender Vermögensdelikte zum Nachteil der Masse belegt auch eine persönliche Ungeeignetheit für die weitere Ausübung des Verwalteramts.

 

Normenkette

RPflG § 3 Nr. 2 Buchst. e, § 18 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1; InsO § 59 Abs. 1 S. 3; GG Art. 12; StGB § 266 Abs. 1; GesO § 8 Abs. 3 S. 2

 

Verfahrensgang

AG Stendal (Beschluss vom 22.02.2010; Aktenzeichen 7 N 83/96)

BGH (Beschluss vom 16.10.2003; Aktenzeichen IX ZB 475/02)

LG Halle (Saale) (Beschluss vom 22.10.1993; Aktenzeichen 2 T 247/93)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers vom 25.02.2010 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Stendal vom 22.02.2010 (Az. 7 N 83/96) wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beschwerdeführer zu tragen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Der vorherige Gesamtvollstreckungsverwalter (im Folgenden: Vorverwalter) war zunächst als Sequester in zwei bei dem Amtsgericht Stendal anhängigen Sequestra...

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