Rn. 155
Stand: EL 138 – ET: 09/2019
Die Definition der Veräußerung des gesamten Gewerbebetriebs setzt voraus, dass alle wesentlichen Betriebsgrundlagen auf einen Erwerber übertragen werden. Der Wortlaut des § 16 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG wird durch die Rspr teleologisch dahingehend reduziert, dass nicht alle WG des Betriebs, sondern lediglich alle für den Betrieb wesentlichen WG übertragen werden müssen.
aa) Wesentliche Betriebsgrundlage
Rn. 156
Stand: EL 138 – ET: 09/2019
Die Wesentlichkeit der Betriebsgrundlagen ist normspezifisch unter Berücksichtigung des Sinn u Zwecks der Norm auszulegen. Nach welchen Kriterien WG als wesentlich zu qualifizieren sind, wird nicht einheitlich beurteilt. Es wird vor allem auf die Funktion des WG für den Betrieb (funktionale Betrachtung) o/u auf die in dem WG enthaltenen stillen Reserven abgestellt (quantitative Betrachtung). In der Rspr werden quantitativer u funktionaler Ansatz kombiniert gebraucht (BFH v 30.08.2012, BFH/NV 2013, 376; BFH v 19.03.1991, BStBl II 1991, 635; BFH v 13.02.1996, BStBl II 1996, 400; BFH v 02.10.1997, BStBl II 1998, 104; BFH v 10.11.2005, BStBl II 2006, 176; BFH v 16.12.2009, BStBl II 2010, 431; BFH v 07.04.2010, BStBl II 2011, 467). Beide Merkmale stehen selbstständig u voneinander unabhängig nebeneinander (BFH v 07.04.2010, BStBl II 2011, 467; BFH v 04.07.2007, BFH/NV 2007, 2093; BFH v 25.02.2010, BStBl II 2010, 726; BFH v 02.10.1997, BStBl II 1998, 104; BMF v 03.03.2005, BStBl I 2005, 458 Tz 3). Der funktionale Ansatz rührt aus der tätigkeitsbezogenen Komponente des Gewerbebegriffs (§ 15 EStG) her, während der quantitative Ansatz auf den Sinn u Zweck der Vorschrift zurückgeht, der in der Begünstigung der Aufdeckung zusammengeballter stiller Reserven liegt (BFH v 03.02.1994, BStBl II 1994, 709). Die Kombination beider Ansätze (funktional-quantitative Betrachtungsweise) dürfte für die Bestimmung der Wesentlichkeit einer Betriebsgrundlage daher maßgeblich sein.
Quantitativ wesentlich ist ein WG, wenn die enthaltenen stillen Reserven relativ (FG Münster v 18.06.1998, EFG 1998, 1465), also im Verhältnis zu den gesamten stillen Reserven der Sachgesamtheit, o absolut (FG Köln v 18.11.2003, EFG 2004, 898) hoch sind. Die funktionale Wesentlichkeit bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls, insb der Bedeutung des WG für den Betrieb. Ob ein WG funktional wesentlich ist, hängt auch maßgeblich von der Art der ausgeübten Tätigkeit ab u kann variieren (BFH v 20.02.2008, BFH/NV 2008, 1306).
Zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen können bilanzierte u nicht bilanzierte WG gehören, zu letzteren, gerade bei freiberuflichen Betrieben, insb der Mandantenstamm (FG Köln v 03.12.2014, 13 K 2231/12, EFG 2015, 556).
ab) Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Wesentlichkeit
Rn. 157
Stand: EL 138 – ET: 09/2019
Wann ein WG als wesentlich anzusehen ist, bestimmt sich zum Zeitpunkt der Veräußerung (s Wacker in Schmidt, § 16 EStG Rz 91 (38. Aufl); Schallmoser in Blümich, § 16 EStG Rz 150 (August 2017); Geissler in H/H/R, § 16 EStG Rz 123, März 2013). Maßgeblich ist insoweit die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums (s Rn 53). Wird zulässigerweise eine Rückwirkung vereinbart (hierzu s Rn 57ff), so ist auf den Zeitpunkt der Veräußerung in der Vergangenheit (Rückwirkungszeitpunkt) abzustellen. Denn es wird fingiert, dass die Veräußerung bereits zu diesem Zeitpunkt stattgefunden hat (insb die Zurechnung der Einkünfte bis zum Rückwirkungszeitpunkt zum Veräußerer u ab diesem Zeitpunkt zum Erwerber). Folglich muss auch die Wesentlichkeit der übertragenen Betriebsgrundlagen bereits zu diesem Zeitpunkt gegeben gewesen sein. Die FinVerw stellt bei Umwandlungsvorgängen mittlerweile auch auf den Rückwirkungszeitpunkt ab (BMF v 11.11.2011, BStBl I 2011, 1314 Tz 20.06 S 2 iVm Tz 15.03 S 1 iVm Tz 02.14). Zu den steuerlichen Auswirkungen der Übertragung von wesentlichen Betriebsgrundlagen vor u nach dem Rückwirkungszeitpunkt s Neumann/Benz, StbJb 2013/2014, 190–193; Patt in D/M/P, § 20 UmwStG Rz 113).
ac) Keine Notwendigkeit zur Übertragung von nur wirtschaftlich zuordenbaren WG
Rn. 158
Stand: EL 138 – ET: 09/2019
Die FinVerw vertritt im UmwStE die Auffassung, dass neben den (funktional-)wesentlichen Betriebsgrundlagen auch die wirtschaftlich dem jeweiligen (Teil-)Betrieb zuordenbaren WG zu übertragen sind (BMF v 11.11.2011, BStBl I 2011, 1314 Tz 15.02). Diese zusätzliche Anforderung gilt für § 16 EStG nicht, u zwar weder für die Abgrenzung mehrerer Betriebe eines Einzelunternehmers voneinander noch für die Abgrenzung von Einzel-WG bei der Übertragung eines Teilbetriebs.
Anders als im UmwStG ist der Betriebs- u der Teilbetriebsbegriff des § 16 EStG nicht durch eine europäische Richtlinienvorgabe geprägt, wie dies im UmwStG durch die FusionsRL 2009/133/EG der Fall ist, in der der Teilbetrieb legal definiert ist (vgl dort Art 2j). Folglich sind die Begriffe der jeweiligen Norm entsprechend auszulegen; es kommt zu keiner Ausstrahlungswirkung des UmwStG (BFH v 14.09.2005, BFH/NV 2006, 532; BFH v 07.11.2013, BFH/NV 2014, 676; glA Wacker in Schmidt, § 16 EStG Rz 141 (38. Aufl); Schallmoser in Blümich, § 16 EStG Rz 190 (August 2017); Seer in Kirchhof, § 16 EStG Rz 38, 18. Au...