Rn. 244
Stand: EL 156 – ET: 02/2022
Nach § 18 Abs 1 Nr 1 S 4 EStG steht der Annahme einer leitenden und eigenverantwortlichen Tätigkeit eine Vertretung im Fall vorübergehender Verhinderung nicht entgegen. Die Vorschrift ist dem Sinn und Zweck des § 18 EStG entsprechend mE eng auszulegen. Eine vorübergehende Verhinderung ist daher nur anzunehmen, wenn die Nichtausübung der persönlichen Leitung oder der eigenverantwortlichen Tätigkeit von vornherein nur kurzfristig oder durch Umstände bedingt ist, denen sich der StPfl nicht entziehen kann und die nicht auf eine planmäßige längere Unterbrechung der Tätigkeit hindeuten (Krankheit, Urlaub). Wird von vornherein eine länger andauernde Verhinderung absehbar, schlägt in diesem Zeitpunkt die von einem Dritten geleitete und in eigener Verantwortlichkeit geführte freiberufliche Tätigkeit um in eine gewerbliche. Zum dauernden Vertreter in einer Zweigstelle s Rn 242.
Rn. 245
Stand: EL 156 – ET: 02/2022
Keine vorübergehende Verhinderung ist mE daher anzunehmen, wenn der StPfl, um eine andere Tätigkeit ausüben oder um einer Liebhaberei nachgehen zu können, die Leitung und eigenverantwortliche Betätigung einem Dritten überlässt. Nach H 15.6 EStH 2020 "Mithilfe anderer Personen" ist die Verhinderung auch dann noch vorübergehend, falls die Vertretung wegen der Mitarbeit in einer Standesorganisation oder der Zugehörigkeit zu einer gesetzgebenden Körperschaft erforderlich wird. Letzteres ist seit BVerfGE 40, 296, wonach die Abgeordnetentätigkeit über ein Ehrenamt weit hinausgeht, jedenfalls für Landtagsabgeordnete in Flächenstaaten, Bundestagsabgeordnete und Abgeordnete des Europaparlaments zumindest bedenklich; es spricht mehr für die Verneinung der Leitung und eigenverantwortlichen Tätigkeit (Heeh, FR 1981, 219).
Eine vorübergehende Verhinderung scheidet von vornherein aus, wenn der Freiberufler verstorben ist (BFH BStBl II 1981, 665; 1994, 922; Offerhaus, StBp 1981, 262; aA Schick, StRK-Anm EStG 75 § 15 Abs 1 Nr 1 R 1). Das gilt auch, wenn ein Erbe ohne Berufsqualifikation die freiberufliche Praxis übergangsweise bis zum Verkauf oder bis zum Erwerb einer eigenen Qualifikation durch einen Treuhänder fortführt (BFH BStBl II 1981, 665; ferner BFH BStBl II 1993, 36 zur Frage der Betriebsaufgabe). Zur Lösung des Widerspruchs mit den für die steuerrechtliche Beurteilung unerheblichen Standesrichtlinien wird der Erlass der auf der Fortführung durch den Erben/Treuhänder entfallenden GewSt gefordert (Kupfer, KÖSDI 1990, 8071; Wacker in Schmidt, § 18 EStG Rz 36; aA Stöcker in Lademann, § 18 EStG Rz 154); mE zutreffend, jedoch nur für eine kurze Übergangszeit von bis zu 6 Monaten. Weiteres zum Erbenproblem s Rn 114a, 626ff.