Dr. Carl Ulrich Hildesheim
Rn. 1
Stand: EL 178 – ET: 01/2025
Inhalt und Bedeutung
Durch die Festsetzung und Erhebung von Vorauszahlungen soll ein sicherer und gleichmäßiger Eingang der ESt erreicht werden (BFH BStBl II 2011, 607). Ferner wird die Liquiditätsbelastung der Bezieher nicht steuerabzugspflichtiger Einkünfte derjenigen StPfl angenähert, die dem Quellensteuerabzug durch LSt oder KapSt unterliegen (BFH BStBl II 2024, 215 mwN). Die Festsetzung der Vorauszahlung ist eine vorläufige; sie betrifft eine zukünftige ESt, die der StPfl für den laufenden VZ "voraussichtlich schulden wird" (§ 37 Abs 1 S 1 EStG).
Der Gesetzgeber hat sich mit der Regelung in § 37 EStG bewusst für ein Vorauszahlungssystem entschieden, das aus Vereinfachungsgründen ohne unterjährige Ermittlungen des Einkommens auskommt. Das geltende Vorauszahlungssystem ist nicht verfassungswidrig (vgl nur BFH BStBl II 2024, 215). Es greift nach zutreffender Rspr des BFH weder unverhältnismäßig in grundrechtlich geschützte Positionen ein noch verstößt es gegen das Gebot der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit.
Das gilt zunächst für die im System angelegte und vom Gesetzgeber gewollte Nichtberücksichtigung der unterjährigen Leistungsfähigkeit. Ihr steht zum einen der Vorteil erheblicher Verwaltungsvereinfachung und Entlastung der StPfl gegenüber. Unverhältnismäßig hohe Vorauszahlungen werden außerdem durch die Möglichkeit der Anpassung in § 37 Abs 3 S 3 EStG grundsätzlich vermieden. Diese vom Gesetzgeber bewusst gewählte Typisierung ist nicht zuletzt unter Berücksichtigung des berechtigten öffentlichen Interesses an einer Verstetigung der Steuereinnahmen gerechtfertigt (BFH BStBl II 2024, 215 mwN).
Zu Sonderregelungen wegen Corona s Rn 94.
Rn. 2
Stand: EL 178 – ET: 01/2025
Abs 1 des § 37 EStG legt fest, wann die Vorauszahlungsschuld entsteht und wann die Vorauszahlungen fällig werden.
Abs 2 des § 37 EStG ermächtigte die OFD, für die bestimmte Gruppen von StPfl abweichende Fälligkeitstermine festzulegen. Die Vorschrift wurde durch das JStG 2009 v 19.12.2008 (BGBl I 2008, 2794) aufgehoben.
Abs 3regelt das Festsetzungsverfahren und die Bemessungsgrundlage sowie die Anpassung von Vorauszahlungen.
Abs 4 regelt das Verfahren bei nachträglicher Erhöhung von Vorauszahlungen und bestimmt deren Fälligkeit.
Abs 5 legt bestimmte Schwellenwerte für die Festsetzung und die Erhöhung von Vorauszahlungen fest.
Abs 6 (neu eingefügt mW ab VZ 2014, s Rn 4a) bestimmt die pauschalierte Berücksichtigung von Beiträgen zur Kranken- und gesetzlichen Pflegeversicherung. Abs 6 ist zum 29.12.2020 wieder aufgehoben worden (s Rn 79a).
Zu den besonderen Corona-Maßnahmen s Rn 94.
Rn. 3
Stand: EL 178 – ET: 01/2025
Der Einfluss von Vorauszahlungen auf die unterjährige Liquidität verdeutlicht die wirtschaftliche Bedeutung der Norm für die StPfl. In der Praxis handelt es sich größtenteils um ESt-Vorauszahlungen für zu erwartende Einkünfte aus Gewerbebetrieb und aus selbstständiger Arbeit. Bei Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit und Kapitaleinkünften findet die zeitnahe Besteuerung durch LSt und KapSt (dazu auch s Rn 4) statt – ggf gleichzeitig mit Vorauszahlungen nach § 37 EStG, zB wenn ein Angestellter nebenher einen Gewerbebetrieb unterhält.
Seine Entsprechung findet § 37 EStG in §§ 19–21 GewStG, in § 18 UStG und §§ 48, 49 KStG.
Verfassungsrechtlich ist die Erhebung von ESt-Vorauszahlungen unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgrundsatzes geboten, um die veranlagten StPfl den LSt-Zahlern gleichzustellen; aus fiskalischer Sicht ist diese Gleichbehandlung unerlässlich, um auf diese Weise durch zeitnahe Erhebung das Steueraufkommen zu sichern (zum Ganzen BFH BStBl II 1982, 105).
Vorauszahlungen auf die ESt sind grundsätzlich in vier gleich großen Teilbeträgen zu leisten (H 37 EStH 2023 "Verteilung von Vorauszahlungen"). Eine Ausnahme hiervon kommt insbesondere nicht in Betracht, soweit der StPfl geltend macht, der Gewinn des laufenden VZ entstehe nicht gleichmäßig. Das geltende Vorauszahlungssystem ist verfassungsgemäß (BFH BStBl II 2012, 329).
Rn. 4
Stand: EL 178 – ET: 01/2025
Verfahrensrechtlich sind Vorauszahlungsbescheide eigenständige Steuerfestsetzungsbescheide (§§ 155 Abs 1 S 1, 164 Abs 1 S 2 AO). Ein Vorauszahlungsbescheid verliert durch den Jahressteuerbescheid seine Wirksamkeit, da der Jahressteuerbescheid den Vorauszahlungsbescheid in seinen Regelungsgehalt aufnimmt. Der ESt-Bescheid bildet einen neuen Rechtsgrund für die Steuerzahlungen, so dass sich der ESt-Vorauszahlungsbescheid nach § 124 Abs 2 AO "auf andere Weise" erledigt hat (ausführlich und grundlegend dazu BFH BStBl II 2011, 607; s auch BFH BFH/NV 2015, 306).
Wird der Vorauszahlungsbescheid während eines gegen diesen anhängigen Klageverfahrens durch den ESt-Jahresbescheid ersetzt, wird der Jahresbescheid gem § 68 S 1 FGO zum Gegenstand des Verfahrens; die Anwendung des § 68 FGO schließt die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage gegen den Vorauszahlungsbescheid jedoch dann nicht aus, wenn die maßgebende Frage nur in ei...