Rn. 91

Stand: EL 160 – ET: 10/2022

Der objektive Tatbestand einer Hinterziehung von ESt-Vorauszahlungen kann bereits dann erfüllt sein, wenn der StPfl durch unrichtige Angaben in der Jahreserklärung bewirkt, dass neben der Jahressteuer für den vergangenen VZ auch die Vorauszahlungen für einen nachfolgenden VZ (§ 37 Abs 3 S 2 EStG) nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden (BFH BStBl II 1997, 600 und BFH/NV 2022, 156).

Der BFH hat in einem Grundsatzurteil BFH v 28.09.2021, BFH/NV 2022, 156 ua zur Festsetzung von Hinterziehungszinsen für verkürzte ESt-Vorauszahlungen neben der Festsetzung von Hinterziehungszinsen für hinterzogene Jahres-ESt entschieden und dabei folgende Grundsätze aufgestellt:

  • Auch hinterzogene ESt-Vorauszahlungen sind danach hinterzogene Steuern im Sinne des § 235 AO und können Gegenstand einer eigenständigen Verzinsung nach dieser Vorschrift sein. Das gilt auch dann, wenn ESt-Vorauszahlungen und die Jahres-ESt desjenigen VZ, für den die Vorauszahlungen zu leisten gewesen wären, gleichermaßen hinterzogen werden. Auch in diesem Fall sind gemäß § 3 Abs 1 AO die Jahres-ESt und die Vorauszahlungen jeweils eigenständig zu betrachten und jeweils "hinterzogene Steuern"" im Sinne des § 235 Abs 1 S 1 AO (gegen FG Münster EFG 216, 965).
  • Eine systemwidrige Doppelbelastung desselben Steueranspruchs mit Hinterziehungszinsen kann durch die Abgrenzung der Zinsläufe vermieden werden:

    • Die gemäß § 370 Abs 4 S 1 AO verkürzte Jahres-ESt (vgl § 36 Abs 1 und Abs 4 EStG) umfasst der Höhe nach hinterzogene Vorauszahlungsbeträge desjenigen VZ, für den die Vorauszahlungen zu leisten gewesen wären. Die hinterzogene Jahres-ESt ist gemäß § 36 Abs 2 Nr 1 EStG nämlich nur um solche ESt-Vorauszahlungen zu mindern, die tatsächlich geleistet worden sind. Auch die Bemessungsgrundlage der gemäß § 235 Abs 1 S 1 AO zu verzinsenden hinterzogenen Jahres-ESt umfasst mithin betragsmäßig auch die Vorauszahlungen. Wegen der betragsmäßigen Überschneidung der Bemessungsgrundlagen für die Hinterziehungszinsen im Sinne des § 235 AO bei der hinterzogenen Jahres-ESt und bei der jeweiligen hinterzogenen ESt-Vorauszahlung könnte es zu einer unzulässigen Doppelverzinsung desselben hinterzogenen ESt-(teil-)betrags kommen.
    • Diese (unzulässige) Doppelverzinsung kann vermieden werden, wenn die den Festsetzungen zugrunde liegenden Zinsläufe in der folgenden Weise voneinander abgegrenzt werden: Der Zinslauf für die Hinterziehungszinsen zu den ESt-Vorauszahlungen gemäß § 235 Abs 2 und Abs 3 AO beginnt zum jeweiligen gesetzlichen Fälligkeitstag im Sinne des § 37 Abs 1 S 1 EStG (10.03./10.06./10.09./10.12.) und endet in dem Zeitpunkt, in dem gemäß § 235 Abs 2 AO der Zinslauf für die Hinterziehungszinsen zur verkürzten Jahres-ESt beginnt. Für die hinterzogene Jahres-ESt beginnt der Zinslauf gemäß § 235 Abs 2 Hs 1 AO entweder mit der Bekanntgabe des unzutreffenden Jahressteuerbescheids oder bei Festsetzung einer Abschlusszahlung darin mit deren Fälligkeit (§ 36 Abs 4 S 1 EStG iVm § 235 Abs 2 S 1 Hs 2 AO). Von einem Beginn der Verzinsung des Jahressteueranspruchs und damit Ende des Zinslaufs für die Hinterziehungszinsen zu den ESt-Vorauszahlungen ist jedoch auch – falls dieser Zeitpunkt vor der Bekanntgabe des Jahressteuerbescheids oder der Fälligkeit der Abschlusszahlung liegt – auszugehen, wenn der Karenzzeitraum im Sinne des § 233a Abs 2 S 1 AO für die hinterzogene Jahressteuer endet und die Vollverzinsung des Jahressteueranspruchs gemäß § 233a AO beginnt.
  • Für den (bedingten) Vorsatz, durch die Nichtangabe von Einkünften in der Jahressteuererklärung eines Vorjahres auch ESt-Vorauszahlungen gemäß § 370 Abs 1 Nr 1 AO zu hinterziehen, ist grds erforderlich, dass gegenüber dem StPfl regelmäßig ESt-Vorauszahlungen festgesetzt werden und ihm bekannt ist, dass Einkünfte, die in der ESt-Erklärung für einen früheren VZ nicht angegeben werden, auch für die Festsetzung der Vorauszahlungen nicht berücksichtigt werden. Die sichere Kenntnis, in welcher Höhe künftige ESt-Vorauszahlungen verkürzt werden, wenn in der Jahressteuererklärung eines Vorjahres Einkünfte nicht angegeben werden, ist für die Annahme des Vorsatzes nicht erforderlich.
 

Rn. 91a

Stand: EL 160 – ET: 10/2022

Wenn die Steuerhinterziehung zu keiner Nachforderung führt, erfolgt keine Zinsfestsetzung. Soweit infolge Kompensation der mit der Steuerhinterziehung zusammenhängenden Besteuerungsgrundlagen mit anderen steuermindernden Besteuerungsgrundlagen kein Zahlungsanspruch entstanden ist, unterbleibt daher eine Zinsfestsetzung.

Das strafrechtliche Kompensationsverbot des § 370 Abs 4 S 3 AO gilt nicht bei der Verzinsung nach § 235 AO (BMF BStBl I 2014, 290; Riegel/Amler, BB 2016, 2972, 294). Zur Abgrenzung zwischen Vollendung und Beendigung s Rn 46a.

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