Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
Rn. 2216
Stand: EL 168 – ET: 10/2023
Die Grundsätze der Schätzung sind durch die Rspr geklärt (BFH BFH/NV 2014, 1374). Schätzung ist die Feststellung von für die Besteuerung erheblichen tatsächlichen Vorgängen mit Hilfe von Anhaltspunkten (BFH BStBl II 1982, 409 zu 1.c.; BFH BStBl II 1985, 352; 1985, 354). Auch wenn der StPfl nicht gezwungen ist, seine BE und BA aufzuzeichnen und entsprechende Belege aufzubewahren, so trägt er doch die Gefahr, dass das FA die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann und deshalb die Voraussetzungen für eine Schätzung nach § 162 AO erfüllt sind.
Es ist anerkannt, dass BA nur insoweit berücksichtigt werden können, wie sie der StPfl auf Verlangen durch Vorlage von Belegen nachweist (BFH BStBl II 1990, 287). Nach der BFH-Rspr kann das FA auch dann den Gewinn schätzen, wenn der StPfl eine Einnahme-Überschussrechnung vorlegt, aber seine BE und BA nicht nachweisen kann (BFH BStBl II 1999, 481).
Neben einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO kommt eine Schätzung anderer steuerlich relevanter Umstände (zB Feststellung einer Steuerhinterziehung mittels reduzierten Beweismaßes) nicht in Betracht (BFH BStBl II 2007, 364; BFH/NV 2009, 1485).
Bei der Schätzung des Gewinns sind die Grundsätze der Gewinnermittlungsart zu beachten. Hat der StPfl keine Gewinnermittlung nach § 4 Abs 3 EStG gewählt und hat er auch keine Bücher geführt, so ist der Gewinn nach den Grundsätzen der Gewinnermittlung nach §§ 4, 5 EStG zu schätzen. Denn gemäß § 4 Abs 1 EStG "ist" der Gewinn zu ermitteln. Nur unter bestimmten Voraussetzungen "kann" der Gewinn nach § 4 Abs 3 EStG ermittelt werden (s BFH BStBl II 1989, 714; 2009, 659; BFH/NV 2009, 1979; Schober in H/H/R, vor §§ 4–7 EStG Rz 18a (Dezember 2022); aA Drüen, DStR 1999, 1589). Dies gilt insbesondere auch dann, wenn der StPfl selbst die Schätzung nach § 4 Abs 1 EStG begehrt (BFH BFH/NV 2009, 1979).
1. Notwendigkeit und das Recht zur Schätzung
Rn. 2217
Stand: EL 168 – ET: 10/2023
Die Notwendigkeit und das Recht zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen und damit auch des Gewinns ergeben sich aus der Verpflichtung zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen, § 88 AO für die Verwaltung und § 76 FGO für das FG.
Gesetzliche Grundlage für die Befugnis zur Schätzung sind besonders § 162 AO für die Verwaltung und § 96 Abs 1 S 1 FGO iVm § 162 AO für das FG (BFH BStBl II 1984, 504 zu I.1.; BFH BStBl II 1983, 226; 1982, 430; 2006, 578). Das FG kann sich aber darauf beschränken, im Ergebnis die Schätzung des FA zu bestätigen (BFH BFH/NV 2001, 610; BFH vom 25.07.2003, XI B 210/02; BFH BFH/NV 2006, 1338). Es kann sich dann darauf beschränken, den substantiierten Einwendungen gegen die Schätzung des FA nachzugehen (BFH BFH/NV 2006, 326). Die Entscheidung des FG braucht nicht durch ein Sachverständigengutachten vorbereitet werden (BFH BFH/NV 2007, 1167; 2009, 717). Insbesondere muss die Beurteilung der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen zulässig ist, ebenso wie die Bestimmung der maßgeblichen Schätzungskriterien weder regelmäßig noch in bestimmten Einzelfällen durch ein Sachverständigengutachten vorbereitet werden (BFH BFH/NV 2005, 224; 2007, 1167; 2009, 717).
Hält das FG die Schätzung des FA für rechtswidrig, so hat es eine eigene Schätzung vorzunehmen (BFH BStBl II 2006, 578). Es besteht keine Bindung an das Schätzungsergebnis eines anderen Senats des FG (BFH BFH/NV 2011, 1838). Die Schätzungsbefugnis besteht auch im Aussetzungsverfahren (FG D'dorf vom 23.08.2010, 17 V 972/10 A (E, G, U, F)). Es besteht auch keine Bindung an eine Schätzung, die das Strafgericht vorgenommen hat (FG Ha EFG 2019, 1353, rkr). Aufgrund der Eigenständigkeit des Besteuerungsverfahrens gegenüber dem Strafverfahren gemäß § 393 Abs 1 AO kann selbst ein Freispruch im Strafverfahren das FG nicht daran hindern, das Tatgeschehen und die Beteiligung des StPfl eigenständig zu werten (BFH BFH/NV 2013, 1588).
2. Schätzung durch den StPfl
Rn. 2218
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Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen durch den StPfl beinhaltet idR keine Erfüllung der dem StPfl obliegenden Mitwirkungs- und Erklärungspflichten (§§ 90, 93, 149 AO). Es gibt aber Situationen, in denen der StPfl regelmäßig schätzen muss, weil die exakte Ermittlung des Sachverhalts unzumutbar oder gar unmöglich ist, zB dann, wenn die Belege und Aufzeichnungen nicht mehr vorhanden sind. Die Schätzungen der Besteuerungsgrundlagen durch den StPfl können aber nicht einer Schätzung durch das FA gegenübergestellt werden (BFH BFH/NV 2011, 1662).
3. Voraussetzungen der Schätzung
Rn. 2219
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Bei Verletzung der Mitwirkungspflicht des StPfl sind die Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO zu schätzen (BFH BStBl II 2002, 4; BFH/NV 2005, 503; 2006, 484; 2006, 914). Wie sich aus § 393 Abs 1 S 1 AO, wonach die Rechte und Pflichten des StPfl und der FinBeh im Besteuerungsverfahren und im Strafverfahren sich nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften richten, ergibt, ist der einer Straftat Verdächtige sogar nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens im ...