Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
Rn. 416
Stand: EL 80 – ET: 08/200
Risikoabbau als Realisationsvoraussetzung: Gewinnrealisation setzt voraus, dass der Gewinn "so gut wie sicher" ist und der Kaufmann mit der künftigen (zivil-)rechtlichen Entstehung des Anspruchs "fest rechnen kann" (BFH vom 03.08.2005, I R 94/03, BStBl II 2006, 20; BFH vom 08.11.2000, I R 10/98, BStBl II 2001, 349 mwN; BFH vom 12.04.1984, IV R 112/81, BStBl II 1984, 554; BFH vom 11.12.1985, I B 49/85, BFH/NV 1986, 595; s Rn 412). Hinreichend sicherer Risikoabbau ist unabdingbare Voraussetzung für die Gewinnrealisierung (Moxter/Wesner in Hommelhoff/Zätzsch/Erle, FS Welf Müller, 649 (2001). Die Frage, wann der Gewinn in diesem Sinne jeweils konkret hinreichend sicher ist, erfordert eine fallgruppenweise wertende Beurteilung der Risikolage unter Berücksichtigung der vertraglichen Bestimmungen im Einzelfall (vgl Breidert/Moxter, WPg 2007, 919; Hennrichs in Tipke/Lang, Steuerrecht, Rn 9.414 (24. Aufl 2021)).
Risikoabbau durch wirtschaftliche Leistungserbringung: Inhalt und Umfang der Leistungspflichten des zur Sach-/Dienstleistung Verpflichteten bestimmen den Zeitpunkt, in dem ein Vertrag im Wesentlichen erfüllt ist (Luik in Ruppe, Gewinnrealisierung im Steuerrecht, 103 (1981)). Der zur Sach- oder Dienstleistung Verpflichtete muss für eine Realisation alle von ihm geschuldeten Erfüllungshandlungen in einer Weise erbracht haben, dass die Forderung auf die Gegenleistung quasisicher ist.
Die Realisationsvoraussetzung des Entstehens so gut wie sicherer Forderungen ist nicht gegeben, wenn der Forderungszugang mit wesentlichen Risiken belastet ist, die von der Leistungserbringung des Bilanzierenden unabhängig und objektiv eintrittswahrscheinlich sind (vgl Moxter, ZVglRWiss 2004, 272). Dies kann etwa bei erforderlichen, bzgl Erteilung aber unsicheren behördlichen Genehmigungen der Fall sein (vgl auch BFH vom 27.11.1968, I 104/65, BStBl II 1969, 296; BFH vom 25.06.2009, IV R 3/07, BStBl II 2010, 182; BFH vom 26.09.2018, I R 16/16, BStBl II 2020, 206).
Dies gilt gleichermaßen bei ausschließlich erfolgsabhängiger Gegenleistung (zB vollständig partiarischem Kaufpreis), mithin aufschiebend bedingt entstehenden Gegenleistungsansprüchen. Hier steht weder fest, ob eine Forderung tatsächlich entstehen wird, noch wie hoch diese sein wird (vgl BFH vom 27.10.2015, VIII R 47/12, BStBl II 2016, 600).
Bei Übertragungsvorgängen fasst die Rspr die Frage der wirtschaftlichen Leistungserbringung und damit des Realisationszeitpunkts regelmäßig als Problem der personellen Zurechnung auf. So führt der BFH zu Veräußerungsvorgängen aus:
Zitat
"Der Gewinn aus der Veräußerung eines WG ist im Allgemeinen realisiert, wenn der Veräußerer dem Erwerber das Eigentum an der Sache übertragen hat. Dabei kommt es auf den Zeitpunkt des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums an"
(BFH vom 25.01.1996, IV R 114/94, BStBl 1997, 382; vgl zB auch BFH vom 13.10.1972, I R 213/69, BStBl II 1973, 209; BFH vom 26.03.1991, VIII R 315/84, BStBl 1992 II, 472; BFH vom 15.03.2005, X R 2/02, BFH/NV 2005, 1292).
Zurechnungswechsel und Realisationszeitpunkt werden in der Rspr regelmäßig gleichgesetzt (vgl bereits BFH vom 29.11.1973, IV R 181/71, BStBl II 1974, 202), dieser Gleichklang ist allerdings nicht zwingend; zum Verhältnis von personeller Zurechnung und Gewinnrealisation s Rn 418ff).
Daneben wird der Zeitpunkt, in dem die Gefahr des zufälligen Untergangs und einer zufälligen Verschlechterung ("Preisgefahr") auf den Erwerber übergeht, als entscheidend für den Realisationszeitpunkt angesehen (vgl hierzu BFH vom 02.03.1909, III R 79/87, BStBl II 1990, 733: keine einheitliche Auffassung).