Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
Rn. 409
Stand: EL 171 – ET: 02/2024
Ein schwebendes Geschäft liegt vor, wenn ein gegenseitiger, auf einen Leistungsaustausch gerichteter Vertrag vorliegt, der hinsichtlich der vereinbarten Sach- oder Dienstleistung noch nicht (voll) erfüllt ist. Sind nur noch unwesentliche Nebenpflichten offen, ist ein schwebendes Geschäft nicht mehr gegeben. Ein schwebendes Geschäft kann auf einen einmaligen Leistungsaustausch gerichtet sein (zB Kauf) oder ein Dauerschuldverhältnis (zB Mietverhältnis, Lizenzrecht) zum Gegenstand haben. Ansprüche und Verpflichtungen aus schwebenden Geschäften werden bilanziell nicht berücksichtigt, solange der Schwebezustand anhält, da während des Schwebezustands die (widerlegbare) Vermutung besteht, dass sich die wechselseitigen Rechte und Pflichten aus dem Vertrag wertmäßig ausgleichen (Ausgeglichenheitsvermutung, BFH vom 23.06.1997, GrS 2/93, BStBl II 1997, 737; BFH vom 17.02.1998, VIII R 28/95, BStBl II 1998, 505; BFH vom 07.09.2005, VIII R 1/03, BStBl II 2006, 298; BFH vom 05.04.2006, I R 43/05, BStBl II 2006, 594).
Problematisch ist das Verhältnis zum Vollständigkeitsgrundsatz (§ 246 Abs 1 HGB). Forderungen und Verpflichtungen aus schwebenden Geschäften sind zwar abstrakt bilanzierungsfähig, mangels eintretender Realisation während des Schwebezustands bliebe der Ansatz einer Forderung aber auf die Höhe der damit synallagmatisch verbundenen Verpflichtung beschränkt. Aktiv- und Passivposten heben sich auf, ihr Ansatz würde eine bloße erfolgsneutrale Bilanzverlängerung bewirken. Die Nichtbilanzierung beeinflusst das (Netto-)Vermögen nicht, verhindert wird lediglich ein unnötiges Aufblähen der Bilanz (zB Crezelius in FS Döllerer, 81 (1988); Hennrichs in Tipke/Lang, Steuerrecht, § 9 Rz 76 (24. Aufl 2021)).
Der Grundsatz der Nichtbilanzierung schwebender Geschäfte ist nach Maßgabe des Realisationsprinzips (BFH vom 08.12.1982, I R 142/81, BStBl II 1983, 369) sowohl in der Ausprägung des Vorsichtsprinzips (§ 252 Abs 1 Nr 4 HGB) als auch des Imparitätsprinzips (§ 249 Abs 1 Alt 2 HGB) unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Wesentlichkeit und Wirtschaftlichkeit (s Rn 407ff) als legitime Ausnahme vom Vollständigkeitsgrundsatz zu verstehen (§ 246 Abs 1 S 1 Hs 2 HGB: "soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist").
Ein Bilanzausweis ist hingegen geboten, wenn und soweit die vermutete Ausgeglichenheit von Leistung und Gegenleistung durch Vorleistungen (insbesondere geleistete bzw erhaltene Anzahlungen sind entsprechend erfolgsneutral zu verbuchen, § 266 II Buchst B Nr I 4.III Buchst C Nr 3 HGB) oder Erfüllungsrückstände eines Vertragspartners gestört ist sowie gemäß § 249 Abs 1 HGB handelsbilanziell (gemäß § 5 Abs 4a EStG nicht aber steuerlich) im Fall eines drohenden Verlusts (s Rn 471ff).