Jürgen Dräger, Tobias Müller
Rn. 111
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Die Bewertung nach Maßgabe eines Verbrauchsfolgeverfahrens kann durchaus die Wirklichkeit wiedergeben und steht dann hinsichtlich der Anwendbarkeit außer Frage (s R 6.9 Abs 2 S 2 EStR 2012). Ansonsten handelt es sich um den Ausfluss einer Fiktion. Nur um diese fiktiven Verfahren geht es im Folgenden.
Rn. 112
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Nach § 256 HGB idF BilMoG v 25.05.2009 (s vor § 1 Rn 193 (Bitz)) sind das Lifo-Verfahren und das Fifo-Verfahren zulässig, steuerlich nur das Lifo-Verfahren (Lifo). So lautet wenigstens die hM. Diese darf nicht unkritisch beurteilt werden, denn schließlich müssten über die Anwendung des § 5 Abs 1 S 1 EStG alle den GoB entsprechenden Bewertungsverfahren auch im ESt-Bereich zulässig sein. Der sog Bewertungsvorbehalt nach § 5 Abs 6 EStG ist nicht zwingend einschlägig, da § 6 Abs 1 Nr 2a EStG lediglich ein Wahlrecht eröffnet. Andererseits ist zuzugeben, dass die Intention des Gesetzgebers im StRefG 1990 auf die Zulässigkeit nur des Lifo-Verfahrens für steuerliche Zwecke ausgerichtet war. Einzelheiten zur steuerbilanziellen Sicht s Rn 130ff.
IRd Gewinnermittlung für private Veräußerungsgeschäfte gem § 23 EStG ist ein Verbrauchsfolgeverfahren zur Ermittlung der AK für Wertpapiere in Girosammelverwahrung gem BFH BStBl II 1994, 591 unzulässig (s Rn 87).
Rn. 113
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Die Verbrauchsfolgebewertung beruht auf Erkenntnissen der traditionellen deutschen Betriebswirtschaftslehre aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die wiederum stark geprägt durch die Hochinflation in den 20er Jahren waren. Mittels der Verbrauchsfolgebewertung sollte die Substanzerhaltung gegenüber der Ausschüttung von Scheingewinnen der Vorrang eingeräumt werden. Speziell für die steuerliche Gewinnermittlung verlor dieser Gedanke insoweit an Bedeutung, als hier generell das Prinzip Euro = Euro gilt. Gleichwohl hatte der Gesetzgeber des StRefG 1990 auch die Vermeidung der Scheingewinnbesteuerung als Gesetzesziel im Visier (BT-Drs 11/2157, 140).
Rn. 114
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Das Lifo-Verfahren bewirkt bei steigenden Preisen in der Bilanz eine Bewertung mit einem "zu niedrigen" Wert, wenn man die Wiederbeschaffungskosten als Kriterium heranzieht. Da die zuletzt (last) eingekauften WG zuerst (first) in den Verbrauch (als Produktionsfaktor oder Handelsware) gelangen, wird tendenziell immer der ältere niedrige Einstandspreis der Bilanzbewertung zugrunde gelegt.
Umgekehrt stellt sich der Effekt des Lifo bei der Ertragslage dar: In den Einstand als Rohstoff oder Handelsware gelangt immer der aktuelle Preis mit entsprechend niedrigerem Ergebnisausweis. Bei sinkenden Einstandspreisen verhält es sich gerade umgekehrt: Der Verbrauch wird mit dem niedrigeren Wert in die Gewinn- und Verlustrechnung überführt, und in der Bilanz erscheint der frühere höhere Einstandspreis mit der Folge, dass uU eine Teilwertabschreibung vorzunehmen ist.
Beim Fifo-Verfahren drehen sich diese Effekte gerade um.
Rn. 115
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Die Wirkung des Lifo-Verfahrens im Vergleich zum in der deutschen Rechnungslegungspraxis vorherrschenden Verfahren des gleitenden Durchschnitts (s Rn 85ff) auf die Substanzerhaltung und damit Scheingewinnbesteuerung lässt sich anhand eines vereinfachten Bsp wie folgt darstellen:
Beispiel (nach Mayer-Wegelin in Küting/Weber, Handbuch der Rechnungslegung, § 256 HGB Rz 12 (07/2016):
Anfangsbestand |
1 000 kg |
à 10,00 |
= |
10 000 |
|
Zukauf 1 |
2 000 kg |
à 12,00 |
= |
24 000 |
|
Zukauf 2 |
1 500 kg |
à 13,00 |
= |
19 500 |
|
Zukauf 3 |
2 500 kg |
à 14,50 |
= |
36 250 |
|
Summe: |
7 000 kg |
|
= |
89 750 |
= Durchschnittswert |
Dem ist der Scheingewinn, also der Substanzentzug, nach folgender Berechnung entgegenzuhalten:
Anfangsbestand |
1 000 kg |
à 10,00 |
= |
10 000 |
Endbestand |
1 000 kg |
à 12,82 |
= |
12 820 |
Scheingewinn |
|
|
= |
2 820 |
Würde stattdessen die Bewertung nach dem Lifo-Verfahren durchgeführt, so ergäbe sich in diesem einfachen Fall ein Bilanzwert von (unverändert) 10 000. Die Ausschüttung und Besteuerung des ermittelten Betrages von 2820 entzieht dem Unternehmen Mittel, die es zum laufenden Fortbestehen benötigt, wenn realitätsgerecht unterstellt wird, dass ein bestimmter Mindestbestand an Vorratsvermögen bei einem aktiv wirtschaftenden Unternehmen immer vorhanden sein muss.