Jürgen Dräger, Tobias Müller
Rn. 561
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
In S 1 von § 255 Abs 2 HGB sind drei "Typen" der Herstellung und damit des Entstehens von HK abzuleiten (s Rn 263):
- Herstellung iSv Neuschaffung,
- Erweiterung,
- über den ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung.
Auf dieser Gesetzesgrundlage beruht die ganze umfangreiche BFH-Rspr (s Rn 285) zur Abgrenzung von Herstellungs- und Erhaltungsaufwand. Es ist deshalb bei der Beurteilung von Herstellungsaufwand immer als Pendant das Vorliegen von Erhaltungsaufwand im Auge zu behalten.
Neuherstellung
Rn. 562
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Im Fall der Neuherstellung eines (noch) vorhandenen Gebäudes kommt es für die Einordnung der anfallenden Kosten darauf an, ob ein sog Vollverschleiß vorliegt, das Gebäude also nicht mehr nutzbar ist. Dann werden entsprechende "Modernisierungsarbeiten" unter Heranziehung noch verwendbarer Teile als Herstellung gewertet (s das Leiturteil des BFH BStBl II 1996, 632). Vollverschleiß liegt noch nicht vor, wenn das Gebäude nicht mehr zeitgemäßen Wohnvorstellungen entspricht, aber trotzdem noch bewohnt werden kann. Positiv gilt: Vollverschleiß liegt bei Unbewohnbarkeit in Folge Zerstörung, Verfall, Entkernung vor (Spindler, BB 2002, 2041, 2042).
Dabei gibt es Abgrenzungsprobleme: Wie verhält es sich, wenn ein Gebäude zwar nicht mehr "regulär" vermietbar ist, gleichwohl noch vorübergehend als Notunterkunft für Flüchtlinge benutzt werden kann (Bsp nach Pezzer, DB 1996, 849, 850)? Weitere Beispielsfälle hierzu sind nach Pezzer aaO die Umgestaltung von Gebäuden mit entsprechender Funktions- oder Zweckänderung: Umbau einer Apotheke in eine Wohnung oder eines Wohngebäudes aus zwei Sieben-Zimmer-Wohnungen in dreizehn Zwei- oder Ein-Zimmer-Wohnungen (BFH BStBl II 1983, 728) oder der Fall des Umbaus einer Mühle in ein Wohnhaus (BFH BStBl II 1992, 808). Nach Spindler, BB 2002, 2041, 2042 liegt in solchen Fällen eine Funktions- oder Nutzungsveränderung vor, die zu HK führt.
In diesem Zusammenhang lehnt der BFH den nirgends definierten Begriff der "Generalüberholung" als Abgrenzungskriterium ab. Mit diesem Schlagwort kann also keine Begründung für das Vorliegen eines Herstellungsaufwands geliefert werden.
Rn. 563
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Negativ v Herstellungsaufwand ist nach dem genannten Leiturteil des BFH BStBl II 1996, 632 auch der Fall zu beurteilen, dass Erhaltungsaufwand in ungewöhnlicher Höhe zusammengeballt in einem VZ und damit in einer einheitlichen Baumaßnahme anfällt. Allein die Höhe des anfallenden Renovierungsbedarfs, ausgedrückt in Währung, stellt keinen Maßstab für die Beurteilung des Vorliegens von Anschaffungs- oder Herstellungsaufwand dar. Auch ein sehr hoher Instandsetzungsbetrag für ein Gebäude rechtfertigt allein nicht die Annahme von HK.
Rn. 564
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Ebenso wenig sind HK anzunehmen, wenn die Instandsetzungs- oder Modernisierungsmaßnahmen eine zeitgemäße Technik in das Gebäude einfügen.
Beispiele für Erhaltungsaufwand:
- Anbringung einer zusätzlichen Fassadenverkleidung zum Wärme- oder Schallschutz (BFH BStBl II 1979, 435);
- Umstellung der Gebäudeheizung von Einzelöfen auf Zentralheizung (BFH BStBl II 1980, 7);
- Anbringung einer Betonvorsatzschale zur Trockenlegung der durchfeuchteten Fundamente (entgegen BFH BStBl II 1996, 639);
- Vergrößern eines bereits vorhandenen Fensters (BMF v 18.07.2003, BStBl I 2003, 386 Rz 23);
- Versetzen von Zwischenwänden ohne tragende Teile (BFH BStBl II 2003, 590);
- Ersatz eines Flachdachs durch ein Satteldach, sofern die damit verbundene Wohn- bzw Nutzfläche und Nutzungsmöglichkeit nicht erweitert wird (BMF v 18.07.2003 aaO);
- Ersatz vorhandener Türschlösser durch ein Türschließanlage (BFH BFH/NV 1990, 732);
- Anbringung eines Wasser- und Gasanschlusses, wenn bislang Brunnen oder Kohleofen vorhanden (BFH BStBl II 2003, 590; s Rn 304);
- Umbau eines Großraumbüros in vier Einzelbüros (BFH BStBl II 2007, 922).
Rn. 565
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Erweiterung
Die vorstehenden Bsp belegen, dass bei aller rechtsdogmatischen Systematik weitgehend Einzelfallentscheidungen getroffen werden müssen. Dabei können bereits recht geringfügige Erweiterungen des Gebäudes mit geringem Aufwand zu HK führen.
Beispiele für geringfügige Erweiterungen, die zu HK führen:
BFH BStBl II 1996, 628 |
Das Dach eines Einfamilienhauses wurde vollständig erneuert und dabei der Dachüberstand von 10 auf 40 cm vergrößert. Die alten Dachgauben wurden durch größere ersetzt mit der Folge einer größeren Wohnfläche im Dachgeschoss. Außerdem wurde die Terrasse erweitert und unter der Terrasse ein Kelleranbau mit 3 m2 einschließlich eines Kellerausganges etc geschaffen. |
BFH BStBl II 1996, 630 |
Das Dachgeschoss wurde neu eingedeckt und an die Stelle von Kammern wurde Wohnraum geschaffen und dabei durch zwei zuvor nicht vorhandene Dachgauben vergrößert. |
BFH BStBl II 1996, 637 |
In drei Wohnungen eines Miethauses wurde ein Schlafzimmer um den Bereich des vormals vorhandenen Lichthofes vergrößert. |
BFH BStBl II 1996, 639 |
Aufgrund eines Dachausbaus wu... |