Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsprüfung. Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Anzeige von Masseunzulänglichkeit seitens des Insolvenzverwalters. Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen. Masseverbindlichkeit iSv § 209 Abs 1 Nr 3 InsO. Pflicht zu Erstellung von Beitragsnachweisen. Vollstreckungsverbot für Altmasseverbindlichkeit. kein Zahlungsanspruch seitens des Rentenversicherungsträgers. Entstehen der Beitragsansprüche unabhängig von Fälligkeit des Arbeitsentgelts. keine Säumniszuschläge auf Altmasseverbindlichkeiten
Leitsatz (amtlich)
1. Ansprüche auf Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind Masseverbindlichkeiten iS des § 209 Abs 1 Nr 3 InsO (sog Altmasseverbindlichkeiten), wenn der Insolvenzverwalter dem Insolvenzgericht Masseunzulänglichkeit angezeigt, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Arbeitnehmern gekündigt und diese unter Anrechnung auf anderweitige Vergütungsansprüche von der Arbeitsleistung freigestellt hat.
2. Auch für diese Altmasseverbindlichkeiten hat der Insolvenzverwalter Beitragsnachweise zu erstellen.
3. Unterlässt er dies, kann der Rentenversicherungsträger iR einer Arbeitgeberprüfung nach § 28p SGB 4 die Beitragsnachweise selbst erstellen.
4. Der Rentenversicherungsträger ist auch berechtigt, die Höhe der geschuldeten Gesamtsozialversicherungsbeiträge durch Verwaltungsakt festzustellen, er darf den Insolvenzverwalter allerdings wegen des für Altmasseverbindlichkeiten bestehenden Vollstreckungsverbotes gemäß § 210 InsO nicht auf Zahlung in Anspruch nehmen.
5. Beitragsansprüche entstehen unabhängig davon, ob das Arbeitsentgelt fällig ist.
6. Säumniszuschläge fallen für Altmasseverbindlichkeiten nicht an.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 31.07.2013 sowie der Bescheid der Beklagten 23.05.2013 aufgehoben, soweit der Kläger darin zur Zahlung von Beiträgen und Säumniszuschlägen verpflichtet wird. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte im Klageverfahren 85 vH und der Kläger 15 vH, im Berufungsverfahren trägt die Beklagte 55 vH und der Kläger 45 vH, jeweils mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird für das Klageverfahren auf 58.873,70 € und für das Berufungsverfahren auf 23.090,25 € festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Erhebung von Beiträgen zur Sozialversicherung.
Der Kläger wurde in dem am 01.03.2006 eröffneten Insolvenzverfahren (Beschluss des Amtsgerichts Neustadt a d Wstr, 1 IN /06) über das Vermögen der S. Bau GmbH (im Folgenden: S.-GmbH) gemäß § 27 Insolvenzordnung (InsO) zum Insolvenzverwalter ernannt. Bereits mit Schreiben vom 22.02.2006 (eingegangen am 23.02.2006), hatte er gegenüber dem Insolvenzgericht angezeigt, “dass die Masse voraussichtlich nicht ausreichen wird, um die Masseverbindlichkeiten zum Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu erfüllen.„ Außerdem kündigte er sämtlichen Arbeitnehmern der S.-GmbH und stellte sie ab dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung unter Anrechnung auf eventuell noch bestehende Urlaubsansprüche und anderweitige Vergütungsansprüche von der Arbeitsleistung frei. Der Kläger übermittelte für die gekündigten Arbeitnehmer für die Zeit ab 01.03.2006 keine Beitragsnachweise und zahlte auch keine Gesamtsozialversicherungsbeiträge mehr.
Der beklagte Rentenversicherungsträger führte bei der S.-GmbH am 30.04.2009 eine Betriebsprüfung für die Zeit vom 01.03. bis 30.09.2006 durch und entschied mit Bescheid vom 05.05.2009, dass die sich aus der Prüfung ergebende Nachforderung 88.688,46 € beträgt. Der Kläger wurde aufgefordert, diesen Betrag an die in der Anlage zum Bescheid aufgeführten Einzugsstellen zu zahlen.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 18.05.2009 Widerspruch ein. Der angefochtene Bescheid sei bereits deshalb rechtswidrig, weil er ohne vorherige Anhörung ergangen sei. Der Bescheid erstrecke sich auf den Prüfzeitraum vom 01.03.2006 bis 30.09.2006, also auch die Zeit nach Insolvenzeröffnung. Sämtliche Arbeitsverhältnisse der Gesamtschuldnerin seien jedoch bis spätestens zum 30.06.2006 vom Insolvenzverwalter mit der für ihn geltenden Sonderkündigungsfrist des § 113 InsO gekündigt worden, so dass Beiträge für die Zeit ab dem 01.07.2006 nicht mehr anfallen könnten. Darüber hinaus bestehe zum jetzigen Zeitpunkt eine Beitragspflicht aber auch aus Rechtsgründen nicht. Der Insolvenzverwalter habe bereits bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Masseunzulänglichkeit angezeigt und bereits vor Insolvenzeröffnung sämtliche Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung freigestellt. Kein einziger Arbeitnehmer sei nach Insolvenzeröffnung noch weiterbeschäftigt worden. Dies führe dazu, dass Lohnansprüche sowie hierauf gegründete Sozialversicherungsansprüche nach § 209 Abs 1 Nr 3 InsO nachrangige Masseverbindlichkeiten seien, die vom Insolvenzverwalter nach Anzeige der Mass...